Main character: Grady McNeil, grüne Augen, rote Haare – ihre Mutter hatte eigentlich mit einem Jungen gerechnet, 17 Jahre
Schwester: Apple, 8 Jahre älter, verheiratet, weniger hübsch
Vater: Lamont McNeil, sagt nur zwei Sätze
Mutter: Lucy LaTrotta, lies selbst
Gradys bester Freund: Peter Bell, 18 Jahre; ein Mensch, der von anderen nicht gemocht wird. Er und Grady lieben sich – aus ihrer Sicht wie Bruder und Schwester. Ihm reicht das nicht. Mein Lieblingscharakter
Das Geheimnis, die Heimlichkeit, dann Ehemann: Clyde Manzer, 23 Jahre
Aus diesem Buch:
„Du bist ein Rätsel, mein Liebes“ Lucy
„Was gibt es da für einen Unterschied? (…) Gibt doch schon seit einiger Zeit keinen Unterschied mehr zwischen Männern und Frauen“ Lamont
„Nichts weckt die Geister wie eine Sommerpassage“ Lucy
…“obwohl der Himmel schon brüchig wurde und bald zu Zwielicht zerfallen würde.“ Grady
„Das Mitwissen eines anderen Menschen nahm dem Geheimnis das Alptraumhafte und verringerte ihre Furcht, er könnte sich auflösen.“ Grady
„Kann sein, das ist für dich neu: aber ich bin verlobt.“ Clyde
„Das ist eine vertrocknete Art zu reden; Du brauchst mehr Saft im Leib“ Clydes Mutter
„Wenn wir die Vergangenheit kennen und die Gegenwart leben, ist es dann möglich, dass wir die Zukunft träumen?“ Grady
„(…) sein eigener reinlicher, sehr gepflegter Körper hatte die Farbe von Tee (…)“ Capote über Peter
„Nur die Enden von Haschfluppen, aber sie werden uns wach machen.“ Clydes Freund
„Man läuft nicht vor anderen davon; man läuft vor sich selbst davon. (…) Aber ist jetzt alles gut?” Grady
„Peter, Liebling, setz dich hin; lern meine Freunde kennen, lächle mich an.“ Grady
„Du weißt nicht, was los ist, Süße? Von wegen!“ Mädchen in einer Bar
„Verdammt, du wirst uns umbringen!“ Clydes Freund
„Ich weiß.“ Grady
Grady gehört zur New Yorker Upperclass. Clyde nicht. Gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Bandenkriege, ein abwesender Vater und eine geradlinige, prinzipiengeprägte, raue aber herzliche Mutter prägen seine Jugend. Gradys Eltern entfliehen dem sommerheißen New York, sie fahren mit der Queen Mary nach Europa. Eigentlich sollte Grady mit. Sie will den Sommer aber in NY verbringen. Dafür gibt es einen Grund. Das Geheimnis. Die Heimlichkeit. Clyde. Aber auch der Wunsch nach Abnabelung, nach endlich-den-eigenen-Wegen-folgen, dem Entkommen der ausgetretenen Upperclass-Biografie, lässt sie Lucys beharrliche, aber längst vergebliche Einwände mit stoischem aus-dem-Fenster-gucken ertragen. Sie mögen sich nicht besonders, Lucy und Grady. Lucy meint Gradys Verachtung in ihrem Blick zu erkennen. Diese grünen, kühlen Augen. Sie bedauern es nicht, sie haben es einfach, jede für sich, irgendwann verstanden.
Peter ist immer da, schwebt über Gradys Leben, wie ein Schutzengel, wie ein warmer Wind, der den Nacken streichelt. Grady braucht Peter, aber sie entflieht ihm. Sie ist fasziniert vom Broadway, den Rhythmen, den Menschen – magischer Anziehungspunkt: der NEMO-Parkplatz. Hier trifft sie Clyde. Hier verbringt sie etliche, heimliche Stunden in geparkten Autos mit ihm. Schwankt zwischen Unsicherheit ob der ungewohnten Umgebung und trotzig überheblichen Selbstbewusstsein. Hier lernt sie seine Freunde kennen, die zwar ahnen, dass die beiden aus zu verschiedenen Welten kommen, als dass es gut gehen könnte. Aber sie halten ihre Gedanken zurück. Es würde nichts helfen. Sie kennen Clyde, er würde es sich nicht sagen lassen.
Clyde und Grady versuchen, sich zu verstehen, sich selbst und den anderen, dem anderen auf die Spur zu kommen, den eigenen Klischees nachzugehen, deren Wahrheiten aufzuspüren, ihnen zu entkommen. Es ist kompliziert, sie machen es kompliziert – dabei halten sie es für einfach, aber es ist schrecklich vielschichtig. Denn trotz des noch nicht lange gelebten Lebens, tragen sie ihre Geschichten und Ängste mit sich. Und es fällt weder ihr noch ihm leicht, sie auszusprechen, sich zu öffnen aus Furcht, der andere könnte ein Urteil fällen. Aus Furcht nicht zu genügen – oder zu viel zu sein.
Und dann sind da die ganz leichten Momente, in denen sie sich einfach gehen lassen, bei ihr zu Hause sind. Einem Zuhause, dass Clyde spielerisch einnimmt, Lucys Zimmer zu seinem macht, sein Chaos verbreitet. Ein Zuhause in dem Grady Kochversuche startet, für Clyde backt, sie das gemeinsame Leben erproben. Da ist es fast so, als läse man einen gewöhnlich-romantischen Roman. Aber es reicht ein Zucken in der Luft, alle Staubpartikel bleiben stehen, ein Blick, ein Zwinkern des anderen genügt und einer oder beide verschließen sich. Vollkommen. Kein Rankommen möglich. Weil ich um das junge Alter weiß, beschreibe ich es als „verstockt, eitel“. Verschreckt trifft es vermutlich besser. Also verschreckt, um dann in der nächsten Sekunde umso wütender auf das eigene Recht, das eigene Leben, die absolute Unabhängigkeit von allem zu bestehen. Du willst nicht? Dann geh doch! Auch wenn ich jetzt von Dir erwarte,dass Du bleibst, einsichtig bist. Aber das sage ich Dir nicht, das musst Du spüren!
Gott, wie mir das auf die Nerven geht! Und wie gut ich das finde!
Dieses Wirbeln, diese Unbeständigkeit, diese Verletztheit, diese vertrackte Liebe und all das in einem vor Hitze flimmernden New York, mit der beschränkten aber letztlich liebevollen April, dieser derben aber fürsorglichen, unumstößlich gerechtigkeitsgesinnten und schließlich vom frühen Tod der Clyde so nahen – und vermutlich sehr ähnlichen – Schwester verletzten Familie, diesem herjee so guten, verständigen, herzallerliebsten Peter und dem selbstverständlichen, unmöglich anders ausgehenden Ende, macht es für mich zu einem meiner Lieblingsbücher. Das ich immer mal wieder lese und immer wieder überrascht bin, dass ich es schon gelesen habe. Das könnte nun bedeuten, es bleibt nichts hängen. Aber das stimmt nicht, es bleibt nur jedes Mal etwas anderes in mir zurück. Nicht immer nur Gutes. Aber immer gerade Richtiges.
Autor: Truman Capote
Übersetzerin: Heidi Zerning
Titel: Sommerdiebe (Summer Crossing)
Verlag: Kein & Aber AG, Zürich, 2006; Entdeckt 2004, Manuskript von 1943, das wahre Romandebut Capotes, im Alter von 19 Jahren
Text: Henrike Heick