New Faces in Music
Auf den nächsten Seiten stellen wir euch neun neue Acts vor, von denen man bald
viel hören wird. Nachdem Deutschland im Gangsta Rap unterzugehen drohte, ist eine neue Generation an Musikern groß geworden, die mit einfühlsamen Texten und facettenreichen Sounds
die Musikszene neu belebt. Die Zeiten von „dicker Hose“ und Mackersprüchen sind glücklicherweise vorbei! Man spürt das nach Covid, Krieg und endlos Krisen andere Themen in der Musik relevant geworden sind. Die Töne werden nachdenklicher und weicher. Die Gesichter, die diese Sounds repräsentieren sind so vielfältig wie diese Welt ist. Divers und bunt: Faces in Music! Diese Musikgeneration macht Mut.
Photograph: Stephan Ziehen
Retuschen: Gloss Envision
Wir danken Warner Music für die freundliche Unterstützung
GERD
On a friday night you can find me…?
Singing to the cat… or possibly drinking wine with friends.
What was the best/worst point of growing up in Sweden?
The connection and closeness to nature, it was definitely the best part.
What is a typical day in your life like?
I stare at my coffee for an hour, get ready, go to the studio to record something, go back home
and panik about what I just made, do something that’s not related to music so I remember I’m
human. Get an amazing idea at 00.00, go to sleep way too late, thinking ”I’ll have to record this
tomorrow”.
What was the last record/cd you bought?
My friends Teodor Wolgers had a release party. I bought his vinyl – ”Dialogues”, it’s now my
favorite dinner record to put on, highly recommend.
What is your favorite swear word?
Fan.
When are you the happiest?
When I feel free and creative, like anything is possible.
When did you last cry and why?
I usually cry watching movies, last night to Sound of Music.
Why do you make music?
I’ve always played music but I think I started to make my own music during a period when I felt
lonely. It made me connect with others trough music. Nowadays music is my way of staying
mentally sane, music is where I breath from everyday life, It has become like a new layer of me.
What’s next?
I’m releasing my first album and doing my first Swedish tour! I’m finally gonna play every single
song live and meet my audience. I’m also excited to have the chance to develop a larger concept
of the GERD musical world.
What’s the secret of your success?
Being authentic and connecting to others, I think has been my biggest asset to move forward.
What makes life worth living?
Friends, art and exploring. Trying new things and embracing the little things.
What was your childhood dream of the future?
Becoming an artist on a grand stage with an orchestra like Edith Piaf or Kate Busch was always
the dream, and if that wasn’t possible, a hippo vet. So far I haven’t had any hippo experience
added to my resume.
Describe your musical style!
I usually say my music genre is melodramatic indie-pop! I love mixing orchestral sounds and big
choirs with electronic sounds and play with dramatic transitions. I’m hoping my songs will be
heard as dreamy, dramatic surprises with timeless melodies.What song do you listen to when you’re sad?
I don’t listen to music when I’m sad. When I’m sad I enjoy the silence or I create something new to
cope with my feelings.
What song makes you smile?
There’s no happier song than Dj Bobo Chihuahua, it’s such a stupid song, makes me smile every
time. It also happens to be the best ”get the party started song”, try it!
What’s your career high so far?
My biggest career high is probably one of the summer gigs when I had the audience sing along to
the songs, or when I was voted ”future artist” by my fans. It makes me feel like the music has
connected to so many people and has a life of its own. I can’t wait to get out and play more music
live.
What is your favorite work of art?
It would probably be one of the darker pieces of a Swedish painter called Sven Frödin. He painted
graphic art based on his favorite music, he even had a exhibition called ”The visual music”. There’s
a lot of movement in his art and it combines strict themes with soft shades, it feels very timeless
and a lot like music.
What is your fashion style?
I like classic pieces, and usually mix secondhand with new stuff. My favorite piece of clothing is a
navy striped blazer, and my most worn jewelry is vintage Dior earrings in silver that I bought from
auction a few years ago.
H+M: Lisa Neubacher@Bigoudi
H+M Assistenz: Guerdy Casimir
Styling: Daniel Blechman
Assistent: Winston Sussens
Sanko
… mit meinen Jungs in einer Bar in Düsseldorf oder im Studio.
Das Beste war, dass einem hier eine Menge Perspektiven und Sicherheiten geboten werden.
Content drehen, Gesangsübungen bzw. zum Vocal Coaching fahren oder auch ins Studio, um neue Songs aufzunehmen.
Es ist ziemlich lange her, aber es müsste das Bruno Mars Album „Doo-Wops & Hooligans“ gewesen sein.
Wenn ich Songs schreibe und meine Gefühle in den Texten verarbeiten kann, denn das Gefühl ist magisch, wenn etwas Gutes dabei entsteht.
Weil ich über Musik das ausdrücken kann, was ich nicht immer in Worte fassen kann. Ich möchte anderen Menschen in schwierigen Situationen helfen, sich durch meine Musik und Messages besser zu fühlen oder zu heilen.
Als nächstes kommt mein neuer Song „Gospel“, der von mir und meiner Kindheit erzählt und Hoffnung in die Herzen der Menschen bringen soll.
Man sollte immer die Möglichkeiten ergreifen, denn es laufen jeden Tag 1000 Gelegenheiten an einem vorbei. Man hat sein Glück selbst in der Hand.
Ich wollte immer schon Sänger werden und mein Traum ist es, auf einer großen Bühne zu stehen und die Menschen zu begeistern.
Ich singe Deutsch-Pop mit Soul-Elementen und orientiere mich dabei an internationalen Artists.
Mein ganz persönlicher Höhepunkt war mein Signing bei Warner Music sowie mein allererster Release „Wenn ich Dich Vermiss“.
Ich trage gerne einen Mix aus elegant und sportlich bzw. Streetwear.
Styling: von Uwe
Grooming: Kristin Waltersdorf@Bigoudi
MELE
Freitags abends findest Du mich…?
In einer Kneipe am Tischkicker. Ich spiele Sturm und Mittelfeld.
Was war das beste /schlimmste daran, in Deutschland aufzuwachsen?
Das allerbeste waren die Jahreszeiten und schlimm an Deutschland fand ich eigentlich
ziemlich wenig. Ich hatte eine sehr sichere und zumindest grundsätzlich unbeschwerte
Kindheit (kein Krieg, kein Mobbing, kein Hunger…), deshalb fühlt sich Beschweren falsch
an.
Wie sieht ein typischer Tag in Deinem Leben aus?
Es ist wirklich unmöglich das zu sagen. Es gibt Tage, da stehe ich um 7:30 Uhr auf,
verbringe den ganzen Tag am Schreibtisch für Berufs-Orga und verlasse das Haus nicht und
dann gibt es Wochen, in denen ich nur unterwegs bin. Was gleich bleibt: das Erste, was
morgens passiert, ist Kaffee in meinem Mund.
Was war die letzte Platte/CD die Du gekauft hast?
Puh, das muss ungefähr 100 Jahre her sein… Ich hab weder einen CD Player noch einen
Plattenspieler. Aber ich glaube, es war das Album „Kalenderblätter“ von Fabian Römer.
Dein Lieblings-Schimpfwort?
Dumme Nudel.
Wann bist Du am glücklichsten?
Auf der Bühne und beim Schlafen.
Wann hast Du zuletzt geweint und warum?
Wegen einem Kommentar bei YouTube, der mich wütend gemacht hat, weil er sehr
ungerecht war. Ungerechtigkeit macht mich generell sehr wütend und wenn ich wütend bin,
muss ich öfter weinen.
Warum machst Du Musik?
Das frag ich mich auch jeden Tag haha. Ich glaube, vor allem für das Gefühl, wenn man
nach dem Musikmachen raus geht, AirPods rein macht, den Song abspielt, den es wenige
Stunden vorher noch gar nicht gab. Es fühlt sich einfach so gut an, wenn man etwas Neues
geschaffen hat. Dieser Moment hat Magie.
Was kommt als nächstes?
Im Sommer kommt mein Album und ich freue mich wahnsinnig. Davor kommt aber erstmal
noch mein Song „Alle schauen“, der mir sehr wichtig ist.
Was ist Dein Erfolgsgeheimnis?
Ehrlich gesagt, ich glaube Menschen nicht, wenn sie mir sagen, dass ich Erfolg habe.
Deshalb habe ich auch kein Erfolgsgeheimnis.
Was macht das Leben lebenswert?
Spätzle mit Soße, Brettspiele, Sauna, knutschen, Harry Potter
Was war Dein Kindheitstraum für Deine Zukunft?
Mariah Carey werden
Beschreib Deinen Musik-Stil!
Bei mir ist jedes Lied anders, weil ich selbst auch ein sehr impulsiver Mensch bin. Ich
glaube, das merkt man meiner Musik an. Aber wenn ich es definieren müsste, ist es schon
Popmusik mit Hip-Hop-Einflüssen. Und ich hoffe, dass man hört, dass mir der Text wichtig
ist.
Welches Lied hörst Du, wenn Du traurig bist?
Happy Ending von Mika.
Welches Lied zaubert ein Lächeln auf Dein Gesicht?
Fruchtsaft von Layla.
Was war Dein bisheriger Karriere-Höhepunkt?
Mein Auftritt auf dem Modular Festival. Das war einfach nur krass… Ski Aggu war nicht da
und ich durfte seinen Slot übernehmen. Es war überwältigend.
Was ist Dein Lieblings-Kunstwerk?
Alles von Otto Dix
Wie würdest Du Deinen Mode-Stil beschreiben?
Ein Mix aus ultra basic und extra. Ich trage zum Beispiel sehr gerne auffällige Jacken oder
Schuhe zu nem sonst sportlichen Look. Auf jeden Fall bequem, unbequeme Kleidung macht
mich sauer.
H+M: Lisa Neubacher@Bigoudi
H+M Assistenz: Guerdy Casimir
Ledu
Worin liegt der Reiz Songs zu schreiben?
Für mich liegt der Reiz darin, mich in verschiedenen Formen von Kunst ausdrücken zu können und ein fertiger Song wirkt wie ein vollendetes Bild für die Ohren.
Ist Kunst Freiheit für Dich?
Definitiv. Ich bin der Meinung das Kunst überlebensnotwendig ist, um dem Grauen Alltag etwas Leben einzuhauchen.
Gibt es ein Plan B?
Derzeit nicht, nein. Ich habe bewusst alles auf eine Karte gesetzt, da mir schon immer klar war das ich Vollzeit-Künstler sein möchte. Sollte jedoch das Projekt LEDU andere Formen annehmen, so wäre ich in Zukunft auch dafür offen.
Was macht dir Angst?
Abhängigkeit in jeglicher Hinsicht. Das Gefühl zu haben eventuell nie anzukommen. sowas macht mir Angst. Spinnen sind okay.
Wann bist Du im Zusammenhang mit deiner Kunst am glücklichsten: am Anfang oder am Ende einer neuer Arbeit?
Ich würde mir wünschen das ich nach der Fertigstellung eines Projekts wunschlos glücklich mit dem Ergebnis wäre, doch leider bin ich’s gefühlt nie. Ich bin so perfektionistisch das ich nur beim starten eines Projekts oder der Ideenfindung Euphorie verspüre. Alles was danach kommt ist mit vielen Kopfschmerzen verbunden. Sowas gehört zum kreativen Prozess dazu und liefert solide Ergebnisse.
Wer oder was inspiriert dich?
Jeder der das tut was er/sie für richtig hält. Es ist wichtig reflektiert zu sein, jedoch finde nichts inspirierender als Menschen die ehrgeizig und vertraut mit sich selbst sind. Ich bin zum Beispiel mit Lady Gaga und Nicki Minaj groß geworden. Das verrät schon einiges.
Findest du es wichtig als Künstler geschäftstüchtig zu sein?
100%. Wenn du davon Leben möchtest bleibt es nicht nur bei Songs machen und veröffentlichen. Ab einem gewissen Punkt formt man eine künstlerische Vision. Dann ist es wichtig zu schauen ob und wie deine Kunst/Persönlichkeit einen Platz in der Geschäftswelt finden kann.
Sollte ein Künstler vielseitig sein oder nur einem Stil folgen?
Ich persönlich passe ich keine Box und liebe es mich neu zu (er)finden. Jedoch finde ich das es dem Künstler selbst überlassen ist wie experimentierfreudig er/sie ist. Da gibt es keine Regeln.
Ist Feedback wichtig?
Bis zu einem gewissen Grad ist es total sinnvoll sich Feedback anzuhören und auch anzunehmen. Jedoch sollte man immer eine gewisse persönliche Distanz dazu aufbauen und am Ende des Tages abgleichen wie „verwertbar“ das Feedback ist, das du bekommst.
Ist der Ort wichtig an dem du arbeitest?
Ich habe keinen festen Ort an dem ich arbeite. Mal in der einen Stadt mal in der anderen. Ich arbeite am liebsten dort wo ein kreatives Umfeld herrscht. Manchmal ist auch das im Bett um 2 Uhr nachts das beste Umfeld um kreativ zu sein.
Welche Deiner persönlichen Eigenschaften sind wichtig für deine Arbeit?
Ich glaube die Dinge die ich erlebt habe, haben einige Eigenschaften bestärkt. Diese Eigenschaften geben mir die Möglichkeit mich präziser auszudrücken. Sprich ich weiß meistens ganz genau was ich von mir sehen oder hören möchte. Perfekt im Chaos.
Styling: von Uwe
Hair+Make-Up: Kristin Waltersdorf@Bigoudi
Svea
Styling: von Uwe
Hair+Make-Up: Erika Neumann@Kult Artists
TEMMIS – Der Soundtrack für das Coming of Age der Generation Z
TEMMIS ist eine junge Band der viel zitierten Neuen Neuen Deutschen Welle. Alex (Bass), Tizi (Gitarre) und Roman (Gesang) machen 2018 in Tübingen zum ersten Mal gemeinsam Musik, wo sie sich an der Uni kennenlernen. Drummer Emil stößt 2021 hinzu. Innerhalb kürzester Zeit gewinnen sie den „HiFi Klubben Amplified Newcomer-Bandcontest“ und unterschreiben einen Vertrag bei Warner Music. Die vier mittzwanziger entwickeln als homogenes Team ihren eigenen Sound – leicht melancholische Songs irgendwo zwischen Post-Punk, New Wave und Indie – und sind dabei nah am Puls der Zeit wie Edwin Rosen, Steintor Herrenchor und einige andere Acts aus ihrem Umfeld. Die Texte schreibt Roman, womit die Cover-Songs aus der Anfangszeit der Band größtenteils Vergangenheit sind, ebenso wie Tübingen. Seit 2023 heißt der Heimathafen und Studienort Hamburg. Hier nahm die Band auch ihre aktuellste Single „Alles brennt“ auf.
Der aktuelle Sound
Es sei ihnen wichtig, deutschsprachige Musik zu machen. Vor allem solche, die sie – bei allen persönlich sehr verschiedenen Geschmäckern – auch selbst hören würden, betonen TEMMIS. „Alles brennt“ ist textlich ein schallendes Manifest gegen die provinzlerische Langeweile, ein entschlossenes „Verschwende deine Jugend“, ein erfrischender Ausdruck adoleszenter Rebellion. durchzogen von autobiographischen Elementen. Denn alle vier Musiker sind in der Provinz aufgewachsen und wissen, wovon sie reden: Sänger Roman ist gebürtiger Hesse, Gitarrist Tizi und Drummer Emil stammen aus Baden-Württemberg. Alex, der Bassist, ist der Einzige, der mit seinem Heimatort Königs Wusterhausen in Stadtnähe, sogar in Hauptstadtnähe, aufgewachsen ist.
Und so klingt „Alles brennt“ wie ein surrealer Traum. Um diesen vor dem inneren Auge der Fans abzuspielen, brauchen TEMMIS keine gängigen Song-Strukturen. Im Gegenteil: Roman, Tizi, Alex und Emil brennen für das experimentellen Phasenspiel. Die „Alles brennt“ ausschmückende, flirrend-füllige Soundkulisse durchläuft innerhalb von drei Minuten verschiedenste Stadien. Zwischen harmonisch-triumphalen Synthies und unorthodoxem Gitarrenspiel, großflächigen Störgeräuschen und Stutter-Effekten schwingen Emotionen von Kälte bis Innigkeit mit. In der Konsistenz und Vielseitigkeit des Sounds und der Texte spiegelt sich der Teamgeist der Band wider, der auch einer gesunden Portion Selbstironie nicht entbehrt.
Die Band
„Eine Band, das ist wie ein Dinosaurier aus einer anderen Zeit“, sagt Roman. Fakt ist, es gibt weniger Bands als früher, dafür mehr Solokünstler. Die Technik macht‘s möglich. Mit einem einzigen Laptop lässt sich heute vieles in Eigenregie erstellen – unterstützt durch Social Media, ebenfalls auf Individuen und nicht auf Gruppen zugeschnitten. „Doch der Vorteil ist: Eine Band kann sich facettenreicher präsentieren“, erklärt der charismatische Frontmann. „Beim Posten müssen wir erst alle Vier schauen, wo wir stehen. Diese Spannung ist es, die das Ganze interessant macht,“ resümiert er. Interessantes entspringt auch häufig Fehlern. Und so war es auch ein Fehler, der zum Namen TEMMIS führte: Roman hatte schon angefangen, bevor es die Band gab, in seinem Handy eine lange Liste an Namen anzulegen. Inspiriert von Midwest Emo Bands wie „American Football“ oder „Modern Baseball“, die sich nach Sportarten benannt hatten, sammelte auch Roman Ideen. „Als dann Freunde fragten, ob wir spontan einen Gig spielen wollen, brauchten wir super schnell einen Namen. Ich habe in meine Liste geschaut, war aber besoffen und habe statt Tennis ‚Temmis‘ aufgeschrieben“, gesteht Roman. Die Flyer und Plakate wurden gedruckt und so blieb es dann dabei.
Dreamteam mit Träumen
Immer montags bespricht die Band, was die Woche über ansteht. Vor einem Festival proben die Jungs bis zu sechs Tage in der Woche. Gerade schreiben sie gemeinsam an neuem Material, um im Laufe des Jahres neue Musik zu veröffentlichen. „Bei mir kommen die Texte von selbst noch vor der Musik“, erklärt Roman. Es fällt ihm leicht, weil er schon als Kind gerne Geschichten schrieb, während der Pubertät Gedichte verfasste und mit 17 zu Singen begann: „Ich bin viel im Internet und versuche alles mitzubekommen, ich tauche in Löcher ab, versuche Sprech- und Denkweisen zu lernen, mit denen ich noch nie etwas zu tun hatte.“ In Notizbüchern zusammengeschriebene Gesprächsfetzen, Bücher von Coelho bis Hölderlin – die Einflüsse für Romans Texte sind vielfältig, der Stil eklektisch. Und doch gilt, so Roman: „Man muss einfach chillen. Man selbst sein.“ Und das ist es, was TEMMIS als Band ausmacht. Vier Individuen bilden ein Team mit gemeinsamen Träumen. Und auch darin sind sich alle einig: Das Nervigste am Musikerdasein sind das Abbauen nach einem Konzert und der Heimweg. Woraus sich für Roman ein großer Wunsch für die weitere Karriere ergibt: Er möchte nach einer Show einmal im Nightliner nach Hause fahren.
Grooming: Volkan Günaydin
Text: Kathrin Klemp
Becks
CYTE: Erstmal vorweg, ich finde es bemerkenswert, dass Du es geschafft hast mit, dem Song „June“ ein Liebeslied zu schreiben, was so emotional und trotzdem überhaupt nicht kitschig ist.
Dass es in einer Reihe von einer Milliarden Liebeslieder inhaltlich wirklich raussticht, in einem Genre, das ja wirklich bis zum Erbrechen abgedroschen ist. Ich finde es wahnsinnig beeindruckend, dass Du einen Text hinbekommen hast der zeitgenössisch, emotional aber trotzdem nicht seicht ist! Also großes Kompliment dafür!
Jetzt bist Du ja seit zwei, drei Jahren in Berlin. Was hat sich für Dich alles verändert?
Becks: Vorher habe ich nur zu Hause Musik für mich selbst gemacht. Seit ich in Berlin bin, hat sich mein ganzes Leben verändert. Bevor ich hierher kam, hatte ich nichts und wenn ich nichts sage, meine ich wirklich nichts: wohnungslos, geldlos…. nichts! Berlin und die Musik haben mich gerettet! Ich bin total dankbar und glücklich, dass mein Leben so verlaufen ist und ich das machen kann, was ich schon immer wollte und ich davon auch leben kann. Mein ganzes Leben hat sich in Berlin zum Positiven verändert. Es gibt natürlich auch negative Aspekte, jeder hat im Leben nicht so guten Zeiten, aber grundsätzlich hat sich hier alles zum Positiven gewandelt. Ich bin glücklich!
Cyte: Hast Du noch einen Bezug zu Deinem alten zu Hause?
Becks: Den einzigen Bezug, den ich noch habe, ist meine Mama, also generell meine Familie und zwei Freunde, die ich dort noch habe. Ansonsten habe ich alles „zurückgelassen“. Und das ist besser so!
Cyte: Ich habe den Eindruck, dass Dein Fortgang dort und auch all die Veränderungen für Dich, thematisch in die Songs eingeflossen sind. War das Songschreiben über diese Zeit eine Art therapeutischer Prozess?
Becks: Ich habe ja angefangen über LGBTQIA+ zu schreiben, weil ich fand, dass zu wenige in dieser Bubble darüber schreiben. Und tatsächlich habe ich am Anfang wenig über mich persönlich geschrieben. Ich war da eher verschlossen und habe mich auf andere Themen konzentriert, wie Dinge, die ich wichtig fand, z.B. in den Songs „Chemie“, „Avatar“ und und und…
Ich fange jetzt erst so richtig an über mich, meine mentale Gesundheit, Songs zu schreiben. Im Studio fällt es mir schwer, mich gegenüber fremden Menschen zu öffnen und wenn Du Musik machst, machst Du Dich halt auch gleichzeitig nackt. Und das konnte ich am Anfang mit meiner mentalen Gesundheit noch nicht. Es gibt einen Song, der heißt Medizin, da habe ich darüber gesungen, was dieses „people pleasing“ mit mir macht ….
Also, ich habe am Anfang nicht so viel von mir preisgegeben, sondern eher über gesellschaftliche Sachen geschrieben, die ich wichtig fand!
Cyte: Wie findest Du da die richtigen Worte? Was ist das für ein Prozess, wie muss ich mir das vorstellen?
Becks: Ich habe mir schon immer bestimmte Wörter, Themen und Gefühlslagen aufgeschrieben,
ob ich sie nun draußen auffange oder beim Fernsehgucken. Neulich hatte ich z.B. nur ein Bild als Referenz und hab aufgrund des Bildes geschrieben. Ich habe das Bild nochmal neu gemalt und dann angefangen zu schreiben …es gibt nicht den einen Prozess. Für mich ist alles, was ich sehe und fühle, Kunst. Ich könnte jetzt ein Lied darüber schreiben, wie leer und voll dieser Raum zugleich ist. Ich sehe in allem Kunst und Inspiration.
Cyte: Ich finde das besonders und außergewöhnlich, dass Du über alles schreiben kannst und Dich in alles hinein fühlen kannst!
Becks: Mein Lieblingsspruch im Augenblick ist: „Ich bin der Poet, aber nie das Gedicht“,
denn ich kann über alles und jeden schreiben und sehe immer das Schöne, auch im Kleinen und ballere dann einen Text hin.
Cyte: Und ganz real, wie stelle ich mir das vor? Hast Du ein Notizbuch oder …
Becks: …nee, mein Handy! Also eigentlich will ich immer in ein Notizbuch schreiben, aber wenn Du im Studio bist, ist es einfacher, praktischer mit dem Handy. Du kannst leichter Sätze ändern, Worte streichen – das geht einfach schneller auf dem Handy, iPad oder Laptop. Im Notizbuch musst Du immer durchstreichen, neu schreiben und irgendwann tut das weh.
Cyte: Das heißt, Du schreibst auch eher im Studio?
Becks: In letzter Zeit schreibe ich eher zu Hause und gehe mit meinen Skizzen ins Studio, aber manchmal ist es auch so, dass ich schon im Studio bin und es irgendwas gibt, über das ich gerne schreiben wollen würde, und dann erkläre ich dem Producer meine Vision und er ballert mir dann einen Beat, Klavier oder Gitarre dazu und dann weiß sich sofort was ich dazu fühle und welches Thema dazu passen würde.
Cyte: Bist Du ein spiritueller Mensch?
Becks: Ja! Momentan mache ich da tatsächlich sehr wenig, aber gestern habe ich darüber nachgedacht, dass ich gerne wieder mehr in dieser Richtung machen würde.
Ich habe sehr lange gesucht. Ich wusste, dass ich an irgendetwas glaube, aber es war nie spezifisch jemand wie Gott. Es gibt ja so viel. Aber ich fühlte mich mit nichts wirklich verbunden und dadurch bin ich auf Spiritualität gekommen und habe ich mich sehr damit beschäftigt und auseinandergesetzt. Als ich gemerkt habe, dass es mir hilft, das war bevor ich den Plattenvertrag bekommen habe, da lag ich mit meinen Kristallen im Bett und hab das so manifestiert. Ich habe gefühlt da kommt jetzt etwas. Und dann habe ich diesen Song gepostet, Chemie, und ein paar Tage später habe ich die Nachricht bekommen von meiner jetzigen Managerin, ob ich nicht Hilfe beim Musik machen brauchen könnte. Ich hab nur gedacht, wie krass! Wochenlang habe ich abends mit meinen Kristallen im Bett gelegen, aber wenn Du etwas manifestierst und fest daran glaubst, das bringt wirklich was. Und wenn Du etwas manifestiert muss Du ja im „Jetzt“ sprechen, Du musst sagen „Ich bin …erfolgreich, oder ich bin eine Künstler*in“ und nicht „Ich werde sein…“, weil wenn Du es immer in die Zukunft schiebst, dann …es ist schwer zu erklären.
Cyte: Kreativer Prozess und kommerzieller Erfolg sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wie stehst Du dazu?
Becks: Man merkt, ob ein Mensch das fühlt, was er gemacht hat, oder er es macht, weil andere es wollen. Du kannst Erfolg nicht planen. Es wird immer Leute geben, die das auch fühlen und die, die es nicht tun, gehören einfach nicht zu Deiner Zuhörerschaft.
Cyte: Wie stehst Du denn grundsätzlich zum Musikbusiness? Es geht ja auch um Geld und Du bist dann in diesem Gefüge auch so etwas – auch wenn es sich nicht schön anfühlt – ein Produkt.
Becks: Ich stimme Dir schon zu, dass man in gewisser Weise für andere ein Produkt ist, aber ich denke mir halt, ich mache Musik, weil ich sie liebe und sie meine Leidenschaft ist und das Geld kommt ganz zu Schluss. Du musst erstmal Deine Arbeit machen, um dann irgendwann davon zu profitieren. Es ist zwar nicht einfach, man spürt auch Druck und man muss auch viel pushen, aber
wenn ich diese Tage habe, wo ich nicht mehr kann, dann überlege ich, warum ich damit angefangen habe, was mir am Musikmachen gefällt und dann bin ich wieder dankbar dafür, dass ich das machen kann, was ich liebe. Ich fühle mich auch sehr privilegiert, dass ich überhaupt die Chance habe, das zu tun, weil es extrem schwer ist, hoch zu kommen, weil es einfach schon so viele gibt. Gerade in Deutschland ist der Markt an Newcomern riesig.
Klar ist es blöd, wenn man weiß, dass man ein Produkt ist, das immer wieder verkauft wird,
aber wenn Du für Dich selbst weißt, wofür Du das machst und wenn es Dir Spaß macht und Du es fühlst, dann ist es doch cool, wenn Du nebenbei noch davon profitierst.
Bei der Musik ist es wie ein Geben und Nehmen, ich finde es voll schön und surreal, wenn Du etwas zu Hause schreibst und einsingst und dann ein halbes Jahr später, können es die Leute auswendig mit Dir singen. Du bist die Person, die auf der Bühne steht und das singt, die Leute gucken Dir zu …für mich ist das voll surreal: “Ihr seid alle wegen mir hier“? Das ist cool – ich liebe Musik einfach und könnte nie damit aufhören.
Cyte: Wo bist du lieber, im Studio oder auf der Bühne?
Becks: Gute Frage. Ich glaube, ich bin lieber im Studio, aber nur weil ich manchmal sehr mit social anxieties kämpfe. Ich wurde ja direkt rein geschmissen, habe direkt Festivals gespielt,
bin aber aufgewachsen mit dem Gefühl, ich kann nicht vor Leuten singen. Ich war immer sofort anxious und habe mich total schwer getan, vor Leuten zu singen. Ich hatte kein learning und wurde direkt rein geschmissen: „Und jetzt mach!“ Ich bin deswegen nicht böse, aber es war eine Überwindung – wahrscheinlich lernt man nur so. Es kommt allerdings darauf an, wo ich auftrete, wofür und wie die Fans sind. Wenn ich auf meiner eigenen Tour bin, ist das immer ganz krass, da kennen sie meine Songs auswendig, da sind sie wegen mir da und das weiß ich. Aber wenn Du jetzt auf einem Festival bist, musst Du so performen, dass Leute, die vorbeilaufen, in Deinen Bann gezogen werden. D.h. Du musst ein bisschen mehr geben.
Cyte: Das habe ich mir schon fast gedacht, dass Du Dich wahrscheinlich im Studio sicherer fühlst?
Becks:…wobei, das kommt darauf an mit wem ich da bin. Wenn ich jetzt mit neuen Leuten im Studio bin, bin ich auch erst mal vorsichtig …aber ich habe dieses Jahr sehr gelernt für mich selbst zu sprechen und zu sagen, was ich mag oder nicht. Wenn ich etwas nicht fühle, mache ich es mittlerweile nicht mehr. Das habe ich mir versprochen und bis jetzt hat es dieses Jahr ganz gut geklappt. Deswegen freue ich mich ganz doll auf nächstes Jahr, da kommt noch ganz viel.
Cyte: Dann kommt das Album?!
Becks: Ich hoffe es! Eigentlich habe ich es schon für dieses Jahr vorgehabt, aber ich habe dieses Jahr generell sehr wenig released, weil ich anderes gemacht habe. Aber nächstes Jahr sollte es klappen …
Ich plane ein Konzeptalbum und nicht nur random Songs. Es soll ein Kunst-Ding sein! Ich mag, wenn Musik zeitlos ist und wenn die Leute sie in fünf oder zehn Jahren immer noch hören mögen. Und nicht, was gerade im Trend ist – aber jeder wie er mag!
Cyte: Konzeptalbum ist ja eher ein altes Ding, was eine zeitlang niemand hören wollte, sondern es ging nur noch um einzelne Songs, die möglichst nicht länger als 2:30 Minuten sind …
Becks: Ich habe zwei Hauptthemen, über die ich immer schreibe: einmal über Probleme in der LGBTQIA+ Community, also die Diskriminierungen, die dort stattfinden oder etwas, das mit love zu tun hat. Es gibt so viele junge Menschen hier in Deutschland, die Probleme damit haben und niemand, der es für sie tut. Und dann gibt es auch die Seite von mir, die sehr offen mit mental health umgeht. Auch da habe ich sehr viele Dinge, über die ich gerne schreiben würde. Deswegen bin ich am schwanken, ob ich ein Album rausbringe, das Songs für die Leute enthält oder dieses mental health Ding. Ich muss mal schauen in welche Richtung es gehen wird.
Cyte: Gibt es Künstler*innen an denen Du Dich musikalisch oder inhaltlich orientierst?
Becks: Inhaltlich gibt es keinen der mich inspiriert, ich spreche aus meinen eigenen Erfahrungen oder denen meiner Community, die mir glücklicherweise sehr vertraut und mir viel schreibt.
Darüber kann ich oft Songs schreiben. Daher sind die Inspirationen da eher meine eigenen Erfahrungen und meine Welt.
Musikalisch, weiß ich gar nicht. Ich will nicht in irgendein Genre, ich will alles ausprobieren, weil ich alles liebe. Von Rap bis Trap bis …alles! Aber ein Saxofon wird man demnächst hören – ich möchte unbedingt ein Saxophon in einem meiner nächsten Songs haben!
Cyte: Bester Rat, den Du bekommen hast?
Becks: So was wie, dass ich alles in meinem Tempo machen soll und mich nicht gegenüber anderen verstellen soll. Zum Beispiel auf der Bühne – ich muss nicht dieses Rockstar Ding machen, das bin nicht ich. Ich geh auf die Bühne, stell mich dahin mit meinem Tee, ich geh ein bisschen rum, rede mit den Leuten, ich mach auch sehr viel Quatsch auf der Bühne. Am Anfang dachte ich immer, oh mein Gott, ich muss übelste Party machen und das stresste mich, weil ich dachte, die Leute würden irgendwas von mir erwarten und und und …Ich bin aber nicht so! That’s not me!
Mein Rat wäre: Nicht stressen und wirklich so sein, wie man ist!
H+M: Lisa Neubacher@Bigoudi
error – Musik als Safe Space
Newcomer gibt es viele, aber die wenigsten klingen schon vom ersten Song an so eigen und einzigartig wie error. Jeder Vergleich – egal ob musikalisch, stimmlich oder textlich – greift ins Leere. Aber wenn der 23-jährige Hamburger voller Melancholie von Einsamkeit, Angst vor der Zukunft und der Suche nach sich selbst singt, dabei mit den eigenen Gefühlen und Befindlichkeiten ringt und währenddessen mehr als einmal zu Boden geht und doch immer wieder aufsteht, spricht er damit ganz nebenbei seiner Generation aus dem Herzen.
Mit „Starkes Drehbuch, schwacher Cast“ hat Hauke Kranz, wie error mit bürgerlichem Namen heißt, gerade erst im September 2023 bei Warner Music seine beeindruckende Debütsingle vorgelegt. Der Song des Newcomers landete in unzähligen Playlisten und verlangt nach mehr. Deshalb lässt der gefühlvoll-zerbrechlich wirkende Künstler Mitte November letzten Jahres mit „1000 Liter Teer“ gleich das nächste Release folgen. Von Fabian Isaak Langer, einem Berliner Produzenten, und error selbst produziert. Die neue Single bewegt sich zwischen bittersüßen Synths und melodischer Melancholie, harten Trap-Drums und Uptempo-Beats – rau und unperfekt, aber genau deshalb so relatable.
Ein sehnsüchtiger Soundtrack zu dem error von einem Schmerz singt, den man nicht genau erklären kann. Ein Gefühl, als ob Massen öliger Flüssigkeit und steinerne Brocken einem das Herz verkleben. Dieses Gefühl, das man etwas sagen will, aber nicht weiß, wie. Weil einem die Worte fehlen.
Die Ideen fehlen dem Sohn eines Musiklehrers auf jeden Fall nicht. Bereits mit 15, während der Schulzeit, experimentiert Hauke Kranz auf dem ausrangierten Laptop seiner Mutter mit Musik. Erst allzu Offensichtliches zwischen abgegriffenen C-Dur-Akkorden und 150 BPM-Taktung, ehe sich – beeinflusst durch britischen Kitsch-Pop und deutschsprachigen Indie der späten Zweizehnerjahre – mehr und mehr eine eigene Handschrift herauskristallisiert. Singen kam erst recht spät dazu, autodidaktisch und intuitiv. Während Hauke in der Schule in zahlreichen musikalischen Ensembles mitwirkt, spielt er außerdem auf den verschiedensten Open Mics, Song-Contests und offenen Bühnen Hamburgs – und arbeitet zusätzlich in der Jugendsparte des Schauspielhauses Hamburg und Ernst-Deutsch-Theaters als Darsteller mit.
In der Folge stellt sich für ihn die große Frage Musik oder Theater? Während Corona entscheidet sich Hauke für die Musik. Er berichtet CYTE:
error: Ich bin aus Hamburg weggezogen, um Musik zu studieren. Morgens Uni, abends kellnern und dann irgendwie noch meinen Musikkram produzieren.
CYTE: Jetzt nach dem abgeschlossenen Studium setzt du ganz auf Musik?
error: Ja, das habe ich im September in die Tat umgesetzt mit der ersten Veröffentlichung.
CYTE: War das ein großer Schritt für dich?
Error: Zugegebenermaßen ist das auch mit viel Druck und Überwindung verbunden, wenn man das erste Mal so viel von sich preisgibt. Da habe ich gemerkt, dass es viel konstruktiven Zuspruch gab. Der trägt mich dann auch über die eigene Unsicherheit. Und hält mich auf Trab, diese Reise weiter zu verfolgen. So kam Mitte November der zweite Song „1000 Liter Teer“.
CYTE: Wie sehen deine Pläne für 2024 aus?
error: Es ist noch viel in der Pipeline, was in naher Zukunft das Licht der Welt erblickt. In welcher Form es kommen wird, bleibt abzuwarten.
CYTE: Wie würdest du selbst deine Musik beschreiben?
error: Ich stehe ein bisschen zwischen den Stühlen. Es gibt klassische Songwriting-Ansätze: Klavier, Gesang, Chorus, Strophe, aber dann auch klare urbane Einflüsse wie Rap und Hiphop. Ich stehe irgendwie zwischen Indie Pop und spürbaren Rap-Einflüssen.
CYTE: Schreibst du deine Musik und die Texte selbst?
error: Ich schreibe alles selbst. Oft bin ich auch derjenige der die Songs produziert. Es gibt aber auch Songs, bei denen ich mit ProduzentInnen zusammenarbeite. Das heißt, da ist dann auf der musikalischen Ebene noch eine weitere Person beteiligt. Aber die Texte schreibe immer ich. „Starkes Drehbuch, schwacher Cast“ war ein kompletter Alleingang. Ich bin da eher schüchtern. Am einfachsten ist es, wenn ich mit mir selbst die Dinge ausmachen muss und nicht noch andere mit in die Kommunikation mit einbeziehe. Aber das kommt trotzdem vor.
CYTE: Warum singst du auf Deutsch?
error: Ich singe auf Deutsch, weil es meine Muttersprache ist und sich daher auch ganz natürlich für mich angefühlt hat. Deshalb hab‘ ich das eigentlich nie in Frage gestellt, in welcher Sprache ich Musik machen möchte. Außerdem mag ich den Klang der deutschen Sprache sehr.
CYTE: Welches Ziel hast du dir für die nächsten fünf Jahren gesetzt?
error: Ich möchte weiter an meiner Musik arbeiten und sie mit der Welt teilen. Und wenn es dann auch Menschen gibt, die sich diese gerne anhören, bin ich schon ziemlich happy. Ich fände es spannend, perspektivisch selbst in die Produzentenrolle zu schlüpfen. Ich hätte auch Lust, mich mit der ganzen visuellen Ebene auseinander zu setzen. Video ist auch ein cooles Medium. Da möchte ich gerne noch mehr lernen. Das ist ein riesengroßer Spielplatz.
CYTE: Was wünscht du dir für Deine Musik?
error: Wenn ich mir etwas für meine Musik wünschen könnte, dann wäre es, dass sie ein Safe Space ist. Ein Ort, an dem man sein kann, wie man will, an dem man sich wohlfühlt und sich wiederfindet. Mir war Musik in meinem Leben immer eine Stütze und genau die soll meine Musik auch für andere sein.
error hat Ende Januar seine aktuelle Single „Richtung Mars“ veröffentlicht und arbeitet derzeit an neuer Musik.
Grooming: Emma Bombosch@Bigoudi
Tim Baldus
Cyte: Viele deiner Sachen sind ja eher gefühlvoll und tendenziell auch ein bisschen traurig. Worin liegt der Reiz, traurige Sache zu schreiben?
Tim: Das ist eine gute Frage, die ich mir selbst schon oft gestellt habe. Ich weiß gar nicht genau warum. Das kommt einfach aus mir heraus. Das hat auch eine gewisse Ästhetik, ich sehe etwas Schönes in der Melancholie und lasse mich auch gerne nachts um drei Uhr in so ein Gefühl fallen. Ich finde in diesem Leid ist auch etwas Schönes, etwas Dramatisches.
Cyte: Dementsprechend ist Sprache wichtig für dich?
Tim: Absolut. Ich gebe mir auch immer sehr viel Mühe mit den Texten, wenn ich Songs schreibe. Ich feile manchmal tagelang daran, ich brauche extrem lange für meine Texte. Aber mir macht es auch Spaß, da wirklich über ein Wort eine Stunde nachzudenken, ob mir nicht etwas besseres einfällt. Ich liebe es, dann Bilder in den Köpfen damit zu malen.
Cyte: Wann bist du im Zusammenhang mit deiner Kunst, mit deiner Musik am glücklichsten? Am Anfang oder am Ende von einem neuen Song?
Tim: Das geilste Gefühl ist immer, wenn diese erste Skizze steht und man denkt „ja, da könnte was daraus werden“. Das ist bei mir meistens, wenn ich am Klavier sitze. Ich schreibe eigentlich alles immer alleine am Klavier. Ich bin dann immer gespannt, wie sich das gleich anhören wird, wenn ich es auf dem Handy aufgenommen habe. Dann spiele ich es ab, und wenn dann ein gutes Gefühl kommt, dann schicke ich es gleich in die Runde und guck, wie das Feedback so ist! Das ist immer der intensivste Moment, und auch der schönste!
Cyte: Und wenn das Feedback nicht so gut ist?
Tim: Ich höre mir natürlich Kritik an. Aber es ist nicht so, dass ich, wenn ich einen Song schreibe, den ich unfassbar fühle, und jemand sagt „irgendwie macht der gar nichts mit mir“, dass ich den Song dann weniger fühle. Aber es ist trotzdem natürlich noch ein Plus, wenn die anderen ihn auch mögen, weil man dann weiß, dass man das Bild oder das Gefühl, das man transportieren will, dann auch von anderen so aufgefangen wird.
Cyte: Änderst du Dinge bei einer negativen Kritik?
Tim: Ich bin offen für konstruktive Kritik, aber es kommt auch drauf an, wer es sagt! Dann gehe ich auch gerne noch mal drüber. Es passiert aber oft, dass ich mir einfach sehr sicher bin bei bestimmten Textzeilen, und andere dann sagen „da musst du konkreter werden, da darfst du nicht so in dieses Metaphorik-Geballere abdriften“, was ich ja oft gerne mache. Aber ich sehe das einfach so, dass es mein Markenzeichen ist, dass ich sehr gerne mit Worten Bildmalereien mache. Und da lasse ich mir wenig reinreden. Trotzdem nehme alles immer ernst, solange es konstruktiv ist.
Cyte: Wenn du Neues machst, gehst du dann eher konzeptionell an die Sachen ran oder intuitiv.
Tim: Das meiste kommt immer intuitiv, ich hab dann eine Zeile oder ein Bild im Kopf. Zum Beispiel bei dem Song „Schleudersitz“ war ich auf einem Jahrmarkt. Ich hatte vorher die Melodie von „Schleudersitz“ ewig lang in meinem Kopf und habe sie immer wieder vor mir her gespielt, aber einfach keinen passenden Text dafür gefunden. Wir standen dann an für diesen Turm, wo man im freien Fall runterfällt, was eigentlich gar nicht so mein Ding ist. Mir hätte es gereicht einfach nur hochzufahren und alles von oben zu betrachten. Die bernsteinfarbenen Straßenlaternen und alles, und da ist mir zum Beispiel die Zeile eingefallen “Fühlt sich an wie stundenlanges Anstehen, dann Freefall-Tower, nur um oben zu sein“. Darauf aufbauend habe ich dann den Text geschrieben. Ich bin nach Hause und habe in derselben Nacht noch die erste Strophe geschrieben. Das kommt schon oft intuitiv, eigentlich kommt alles intuitiv, weil ich mich nie hinsetze und sage „so, ich will jetzt einen Song über ein bestimmtes Thema schreiben“. Das meiste passiert einfach so. Allerdings habe ich mir für 2024 vorgenommen, einen Good vibe-Song zu schreiben. Wir sind schon dabei zu probieren, wie ich auf einem UpTempo Song so klinge. Bin gespannt, was daraus wird.
Cyte: Müsste der zu einer anderen Tageszeit geschrieben werden?
Tim: Ja, bei dem UpTempo Song war das schon anders. Da habe ich nicht am Klavier gesessen um drei Uhr nachts und vor mich her geklimpert. Wir waren im Studio und es wurde erst mal ein Beat gemacht, der schon UpTempo war, so Skater-style. Ich hatte ein Bild von Skatern in Kalifornien, die im Sonnenuntergang fahren. Das war dann der Vibe. Da war auch gute Stimmung im Studio, und genau darauf aufbauend, konnte ich einen Good vibe-Song schreiben.
Cyte: Ist es wichtig, dass man vielseitig ist als Künstler oder sollte man aus Deiner Sicht eher einen klaren Stil verfolgen? Also in deinem Fall wäre es ja momentan immer noch eher gefühlvolle, langsame Songs zu schreiben.
Tim: Ich bin auch Fan davon, wenn Künstler und Künstlerinnen so viele Facetten wie möglich haben. Wenn ich da nur an Freddy Mercury denke, den ich extrem feiere, der mal eine Oper aufgenommen hat. Das ist einfach saukrass, und ich bewundere das sehr. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich mal wirklich eine experimentelle Geschichte ausprobiere. Bei Freddy Mercury war trotzdem immer noch dieser rote Faden erkennbar: seine Stimme, seine Aura und sein Auftreten. Man braucht ein Markenzeichen.
Cyte: Sind Ort und Umgebung wichtig für Dein Schaffen?
Tim: Ich bin an vielen Orten kreativ und es braucht nicht besonderes Licht oder ähnliches, um wirklich arbeiten zu können. Aber ich war zum Beispiel schon mal in einem Studio, das extrem clean war. Alles war weiß. Das hatte einen gewissen Touch. Aber der Song, der da entstanden ist, ist nicht besonders intim geworden. Ich weiß nicht, ob das an dem Raum gelegen hat. Aber die Atmosphäre kann oft Einfluss auf alles nehmen, was dann in dem Text oder in der Musik verarbeitet wird. Man guckt ja auch beim schreiben so durch den Raum und wird dann dadurch unterbewusst auf jeden Fall beeinflusst.
Wenn es bernsteinfarbenes Licht ist, dann kommt so ein cosy, edler Vibe in den Text. Wenn es so kaltes, weißes Licht ist, dann ist es vielleicht eher so etwas wie Unnahbarkeit.
Cyte: Würdest Du Dinge anders machen, wenn du nicht so erfolgreich wärst, wie du es bist?
Tim: Nein, ich würde alles genauso machen.
Cyte: Hier eine Reflexion auf das, was ich zum Beispiel als Photograph mache: Agenten sagen ja häufig „Um den und den Punkt zu erreichen, mußt du mir das und das liefern, und dann bringe ich dich da und da hin.“ In meinem Fall meinte er, wenn ich mehr lachende Bilder machen würde, dann könnte er mir auch kommerziell lukrativere Jobs verschaffen. Dann habe ich mal versucht, mich dazu zu zwingen, in die Richtung zu gehen. Es hat aber nie geklappt. Vermutlich hat jeder, der das lachende Bild dann gesehen hat gespürt, dass das nicht aus mir kam und letztendlich bin ich – im Sinne des Agenten – nie so kommerziell erfolgreich gewesen wie ich seiner Meinung hätte sein können, wenn ich mich anders verhalten hätte.
Tim: Ich weiß was du meinst und ja, solche Sachen gibt es auch bei mir. Zum Beispiel war am Anfang, bevor ich angefangen habe mit professionellen Produzenten zusammenzuarbeiten, so ein Ding, dass ich gerne mal einen Song auf vier Minuten gestreckt habe, dann noch mit einer überkrassen Bridge und dann kam da noch ein Gitarrensolo rein. Und da habe ich mich schon so ein bisschen angepasst. Aber wahrscheinlich würde ich Dinge anders machen, wenn es nicht so laufen würde, wie es gerade läuft. Social Media spielt da eine Rolle. Ich poste gern Sachen und bekomme auch gern Feedback darauf. Aber manchmal muss man sich schon überwinden, Stichwort TikTok.
Cyte: Das kann ich gut verstehen, das ganze Social Media-Ding ist eine eigentlich unnatürliche Form der Selbstvermarktung.
Tim: Absolut. Ich finde Instagram ist sehr ästhetische, sehr schön. Aber manchmal habe ich das Gefühl, man muss als Künstler sehr aufpassen, was man alles mitmacht. Dass man sich nicht selbst sein Künstlerimage irgendwie befleckt. Bei TikTok hat man ja leider das Gefühl, man muss ein lustiger Clown sein, damit das Video viral geht. So gehe ich bei manchen Künstlern oder Künstlerinnen lieber nicht auf den TikTok-Account, damit ich sie weiter so hören kann wie ich sie jetzt gerade höre.
Cyte: Welche von deinen persönlichen Eigenschaften sind wichtig für deine Arbeit?
Tim: Eine Art des Perfektionismus. Ich denke einfach sehr viel über meine Worte nach und sie müssen perfekt passen, das Gefühl muss perfekt ausgedrückt sein.
Außerdem beobachte ich. Zum Beispiel bin ich sehr vernarrt in die Farbe Bernstein, weil die mir extrem viel gibt und ich finde sie sehr ästhetisch. Bernstein spielt eine sehr, sehr wichtige Rolle.
Cyte: Ist Kunst Freiheit für dich?
Tim: Ja, absolut. Ich schreibe sehr viele Sachen oder mache sehr viel Musik, die niemals jemand hören wird. Zum Beispiel habe ich mit einer Freundin, rein aus Joke, einen Ballermann-Song geschrieben, einfach weil wir Lust darauf hatten. Ich mache ja nicht nur die Kunst, die man hier auf meinem Spotify-Account hört. Ich male auch und dabei fühle ich extrem viel Freiheit, denn ich male einfach los, wie ein dreijähriges Kind. Da kann ich diesen Perfektionismus, den ich bei den Worten habe, ausschalten. Es braucht nicht immer eine Message, es kann auch einfach mal etwas frei Schnauze entstehen. Ich bin am freiesten, wenn ich einfach ein leeres Blatt Papier vor mir habe. Ich liebe es aus nichts etwas zu machen. Wenn ich hier die Sachen auf dem Tisch sehe und du sagst mir „mach` da mal was draus, etwas Bedeutungsvolles. Etwas, das man metaphorisch interpretieren kann“, dann bin ich spontan dabei. Ich würde mich da so ausleben. Zum Beispiel, lag neulich bei mir in der Wohnung Stahlwolle rum, und wir waren gerade dabei, uns TikTok-Formate auszudenken. Und dann sind wir irgendwie darauf gekommen, in die Stahlwolle metaphorisch etwas reinzuinterpretieren. Stahlwolle ist ja einfach ein super potenter Begriff. Was die metaphorische Bedeutung angeht: Stahl und Wolle, was ja erst mal total gegensätzlich ist. Mir macht das einfach Spaß darüber nachzudenken. Das ist pure Freiheit für mich, sich da künstlerisch auszuleben.
Cyte: Das heißt aber auch, es braucht gar nicht so viel, um dich zu inspirieren?
Tim: Nee, vieles geht ja einfach im Kopf ab. Aus dem Nichts, irgendetwas zu machen, ist einfach ein extrem interessanter Moment, weil alles, was in dem Moment entsteht, im Kopf entsteht. Und das ist wieder Freiheit. Weil man sich alles im Kopf vorstellen kann und dadurch auch Bilder im Kopf haben kann, wenn man Texte schreibt, die sonst niemand hat. Aber man selbst sieht sie ja. Das finde ich auch so interessant, wenn ich Texte-Interpretation von irgendwelchen Leuten zu meinen Songs höre. Die haben oft ganz andere Bilder im Kopf, weil die eine andere Erfahrung haben. Das kann auch komplett konträr sein. Vielleicht nie 100 Prozent konträr, aber so einfach mal ein Song anders interpretiert.
Cyte: Was macht Dir Angst?
Tim: Tod! Also, ich hab darüber schon viele deepe Diskussionen mit Freunden geführt. Ich würde am liebsten niemals sterben. Was haben wir denn davon? Da ist ja rein gar nichts. Das macht mir Angst. Das ist, glaube ich, gar nicht so gesund, weil das ja einfach dazu gehört. Aber das ist das, was mir gerade am ehesten in den Kopf gekommen ist. Ich würde schon gerne für immer leben (lacht). Und im Zusammenhang mit Tod, denke ich natürlich auch an den Tod von Angehörigen, die man liebt.
Ich mache mir mal manchmal selbst Angst! Wenn ich nachts wach werde, dann habe ich manchmal schon sehr crazy geträumt. Oder auch beim Texteschreiben ist es so, dass ich manchmal, wenn ich den Text dann nochmal lese, den ich aus einer Stimmung heraus geschrieben habe, so denke „was ist eigentlich mit dir los?“.
Cyte: Und änderst du das dann oder lässt du es auch manchmal so.
Tim: Es ist irgendwie faszinierend – ich finde es natürlich krass, dass ich dann in dem Moment so etwas schreiben konnte, das mir im nächsten Moment Angst macht. Aber dann denke ich auch, ob ich möglicherweise irgendwas nicht aufgearbeitet habe? Sollte man mal drüber reden? (lacht)
Cyte: Okay, zum Abschluss: bester Ratschlag, den du bekommen hast?
Tim: Mich hat mal ein Kumpel sehr dazu ermuntert, die Musik einfach nur so zu machen, wie ich sie fühle. Mich an niemandem orientiere, sondern einfach nur das mache und dann auch aufnehme, wie ich es in dem Moment feiere. Er hat mich damit sehr aufgebaut. Mich an niemandem als mir selbst zu orientieren, damit ich noch mehr Spaß am Musik machen habe. Es gab eine kurze Zeit, zu der das nicht der Fall war. Das war damals der beste Ratschlag, den ich bekommen habe. Shout out, an Luca!
Cyte: Vielen Dank, Tim!
Styling: von Uwe
Grooming: Lisa Neubacher@Bigoudi