Modern Family
Vor uns sitzen zwei weiße Männer auf ihrer Picknickdecke. Neben ihnen ein schwarzes Mädchen, ihre langen Haare zu kleinen Zöpfen geflochten. Sie wippt im Takt der Musik mit und eigentlich ist klar, dass sie viel lieber Tanzen würde als still zu sitzen. An der Szene ist nichts weiter auffälliges, außer dass einer der Männer so sorgfältig manikürte Hände hat, dass ich meine verschämt hinter dem Rücken verstecken will, und dass das kleine Mädchen zwei Lieder später auf einmal mit Freshlyground, der beliebtesten südafrikanischen Band auf der Bühne steht. Endlich nicht mehr stillsitzen. Falls wir irgendwelche Zweifel hatten wie die drei zueinander gehören, so ist spätestens jetzt klar: so stolz kann nur ein Vater gucken. Ja sagt er, das ist seine Tochter auf der Bühne. Er zeigt und grinst, trinkt schnell noch einen Schluck von seinem Whisky-Irgendwas und wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Auge, bevor seine Wimperntusche verschmieren kann.
So ist das eben in Südafrika, in einer Regenbogennation leben Regenbogenfamilien.
Ein paar Wochen später sitzt die Familie Amey bei mir zu Hause am Tisch. Owam guckt fasziniert auf meine Finger, die über die Tasten gleiten und verkündet, dass sie auch gerne so schreiben lernen möchte. Ob sie sich wirklich fürs Tippen interessiert oder ihr die Tatsache gefällt, dass ich als Teenager während meinem Schreibmaschinenkurs Mc Donald’s zum Mittag haben durfte, ist unklar. Sie mag es, wenn ihr Daddy Shawn „kocht“ denn dann gibt es Butler’s Pizza oder KFC. Oder auch mal Sushi, was sie am liebsten mag wie viele südafrikanischen Kinder, die ich kenne. Kochen sei nicht Daddy Shawns Stärke, er hat sogar mal ein hartgekochtes Ei im Topf explodieren lassen, plaudert sie aus dem Nähkästchen.
Daddy Dean dagegen ist ein richtig guter Koch. Das hat er sich zur Aufgabe gemacht, nachdem Owam, damals noch ein Baby und unterernährt, ein Teil ihrer Familie wurde. Damals, das war vor elf Jahren als sie das damals acht Monate alte Baby gefunden haben. Die Adoptionsagentur wollte nicht, dass zwei weiße Männer ein kleines schwarzes Mädchen adoptieren. Von der Bürokratie und Engstirnigkeit gewisser Leute haben sie sich aber nie von ihrem Plan, eine Familie zu werden, abhalten lassen. Die Antwort auf die Frage was sonst aus Owam geworden wäre, kennen Shawn und Dean ganz genau. Besonders gerne hören sie die Frage nicht und vielleicht war auch deshalb schon damals Aufgeben keine Option.
Die Lage änderte sich, als Owam drei war und die Familie umzog und damit einen neuen Adoptionsberater bekam. Die gab ihnen schließlich den inoffiziellen Rat, dass es vielleicht schneller gehen würde, wenn sie die Adoption privat vollziehen würden. Sechs Wochen später waren sie eine Familie. So ganz offiziell.
Dass die drei eine Familie sind, merkt man aber auch so, modern family-Konzept hin oder her. Dabei tut es wenig zur Sache, dass Shawn Friseur und ehemalige Dragqueen ist während Dean als Buchhalter fürs Parlament und nebenbei auf dem Bau arbeitet. Geheiratet haben sie vor zehn Jahren auf der Sexpo. Die hatten nämlich einen Las Vegas Stand, ein langersehnter Traum von Shawn, der billiger zu verwirklichen war, als ins echte Vegas zu fliegen.
Wie viele schwarze Kinder in weißen südafrikanischen Familien, wird hier mit dem Thema Adoption locker umgegangen und auch, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren ist im Gegensatz zu Deutschland nichts Neues. Bis auf einige Ausnahmen sind die Reaktionen zu den dreien überwiegend positiv. Einmal musste sich Owam vor einer Xhosa sprechenden Frau rechtfertigen, da sie die Sprache nicht spricht. Das war zwar nicht schön, war ihr aber auch eigentlich egal. Ihre eigene Herkunft zu erforschen, steht für sie gerade noch nicht an erster Stelle. Tanzen ist wichtiger und auch eigentlich das einzige was sie macht. Außer Fernsehgucken denn danach sei sie ein bisschen süchtig gibt sie freimütig zu. Und als ich sie nach ihren liebsten Serien frage, bricht auf einmal der ganze Tisch in Gesang aus – die Liebe zur Gummibärchen Bande muss gefeiert werden.
Owam findet es cool zwei Väter zu haben, auch wenn sie die Frage nervt, wer mit ihr Unterwäsche einkaufen geht. Das kann Daddy Shawn nämlich ziemlich gut und sie versteht die ganze Aufregung um die Frage so überhaupt nicht. Eine der vielen Selbsthilfegruppen, die Hilfe für Adoptionsfamilien geben, besuchen sie nicht. Unterstützung von außen brauchen sie nicht und Owam kriegt auf alle Fragen ehrliche Antworten. So auch ein eindeutiges Ja, als die damals fünfjährige Shawn fragte, ob er ihre Mami sei. Heute nennt sie je nach Laune „Mommy“ oder „Daddy Shawn“, aber immer er. Das findet Dean eigentlich nur ungerecht, weil Shawn im Gegensatz zu ihm Mutter- und Vatertag feiern darf.
Shawn und Owam nennt er liebevoll his girls, nichts scheint ihn aus der Ruhe zu bringen, auch nicht die quirligen Temperamente seines Mannes und seiner Tochter.
Wie bei vielen Familien mit Einzelkindern dreht sich das meiste im Leben der Eltern um ihre Tochter. Shawn hat dabei besonders die Karriere seiner Kleinen im Blick. Seit sie vier Jahre alt war, tanzt Owam. Ballett, Akrobatik, Modern – sie liebt es alles. 36 Diplome in den Cape Town TDA Eisteddfods sprechen für ihr Talent, genauso wie die Referenz die ihr sieben von acht Schulen gaben, als Freshlyground nach einer Tänzerin suchten.
Wie alle fast Teenager ist Owam manchmal genervt von den genauen Zukunftsplänen, die ihre Eltern schon für sie aufgestellt haben. Aber bei genauerem Nachfragen unterscheiden sich diese gar nicht so sehr von ihren eigenen. Schule fertig machen, Tanz studieren, dann nach Amerika gehen, um zu arbeiten und dann nach Hause kommen, um eine eigene Tanzakademie zu eröffnen. Owam fügt noch hinzu, dass sie reisen will. Aber nicht, um in Thailand faul am Strand zu liegen. Lieber möchte sie mehr über Tanz in verschiedenen Kulturen lernen. Gerne auch in die Schweiz, da gibt es leckeren Käse für Daddy Dean. Und ein Haus in New York kaufen, ein Ferienhaus, denn Kapstadt ist immer noch ihr Zuhause.
Die Frage, ob die ganze Familie Tanz und Musik liebt beantwortet mir Owam noch bevor ich die Frage stellen kann. Da war nämlich diese peinliche Geschichte als Daddy Dean ihr während einer Tanzstunde mit einem besonders schweren Schritt helfen wollte. Trotz seiner zwei linken Füße. Das war zwar nett gemeint, klappte aber nicht besonders gut und so stolperte er und fiel hin. Owam grinst ein bisschen frech und als ob sie es besser machen will, offeriert sie mir auch eine peinliche Geschichte über sich selbst zu erzählen. „On or off the record?“, frage ich sie und erkläre ihr den Unterschied. Lieber off the record sagt sie und ich klappe meinen Laptop zu. Shawn guckt skeptisch. „But daddy, it is all off the record!“ Und dann schießt sie los und erzählt mir die peinlichste Geschichte ihres fast zwölfjährigen Lebens und lacht. Wie gut, dass das off the record ist.
„A goal is a wish with a deadline.“
Nächstes Jahr wird Shawn 50 und Owam 13. Die beiden signifikanten Geburtstage machen Daddy Dean ein bisschen Angst – a teenager and a 50 year old? – sind aber auch Grund zum Feiern. Dafür will die Familie zur World Class Dance Tour nach Los Angeles fahren. Ein nächster Schritt auf Owams Karriereleiter und eine Chance für Daddy Dean das Zuhause von Star Wars kennenzulernen.
Wer der Famile bei der Realisierung dieses langgehegten Traums helfen möchte, kann auf der Back a Buddy Seite unter „Let’s get Owam to LA!“ spenden und sich mit eigenen Augen von ihrem unglaublichen Talent überzeugen.
https://www.backabuddy.co.za/champion/project/lets-get-owam-to-la
Credits
Photograph: Dirk Schwager
Text: Annika Ziehen