JUST PHRIENDS:Pharell goes fashion
Subtitel: Zum Auftakt der Pariser Herrenmodewoche mit den Kollektionen Frühjahr/Sommer 2024 zelebriert Popstar Pharell Williams seine erste Männerkollektion fürs Luxuslabel Louis Vuitton. In der Front Row unterstützen ihn Celebrities wie Rihanna, Naomi Campbell, Beyoncé und Lenny Kravitz – alle in Louis-Vuitton-Looks. Alles ein großangelegter Marketing-Coup des Monsieur Arnault oder steckt mehr dahinter?
Joy, Joy, Joy! Für seine erste Louis-Vuitton-Kollektion verwandelt der US-Amerikaner Pharell Williams die älteste Brücke von Paris in einen riesigen, goldenen Laufsteg mit Schachbrettmuster. Eine Show der Debüts – die erste Modenschau des Entertainers für das Traditionshaus ist zugleich die bisher größte Menswear-Show von Louis Vuitton und der erste Catwalk auf der Pont Neuf. Begleitet wird das Spektakel von fast himmlischen Klängen des Gospelchors „Voices of Fire“ aus Virgina. Williams hat sie in seiner Eigenschaft als Musiker eigens produziert. Darunter der Song „Joy“ (Unspeakable): „Er ist sehr emotional“, sagt der 13-fache Grammy-Gewinner über seinen Soundtrack. Emotional und divers wie seine Musik wirkt der 50-jährige selbst sowie die KünstlerInnen, die sie darbieten, bis hin zu Starpianist Lang Lang, der das von Williams kreierte Klavierstück „Peace Be Still“ spielt. Dass das ganze Universum des Design-Messias divers ist, glorizifiert die gesamte Show. Es gibt viele weibliche Models zu sehen, zumindest wenn man bedenkt, dass es sich ja eigentlich um Menswear handelt. Alle Menschen Brüder und Schwestern, connected durch das Louis-Vuitton-Logo?
The Show goes on
„Ich kreiere Dinge für Menschen, genau!“, erklärt er selbst das Phänomen. Und wie er kreiert! In 25 Minuten präsentiert Louis Vuitton 75 Looks. Die gesamte Palette der Männergarderobe – von klassischer Schneiderei über edle Streetwear mit Bomberjacken aus Logo-Leder bis hin zum diversen Zeitgeistzeichen, dem Rock für Männer. Schon jetzt hat sich Pharell Williams ein LV-Denkmal durch seine geniale Erfindung des Damiermusters gesetzt, einer Art Camouflage Louis Vuitton Print-Würfel in Pixelkünstlermanier, der sich sogar auf Gummistiefeln wiederfindet. Innovativ wirkt auch der Fakefur, der für eine Sommer Kollektion einen erstaunlich großen Stellenwert einnimmt. Strange und deplatziert muten dagegen die bemalten Lederanzüge an, die wie Mississippi-Dampfer zwischen den eher grafisch angelegten gelbgewürfelten Entwürfen daherkommen. Eine Hommage an Williams US-amerikanischen Wurzeln? Dazu natürlich die eigentlichen LV-Cashcows: Taschen, Taschen, Taschen, wohin das Auge blickt – um den Body, als Koffer, die klassischen Modelle wie Speedybag, Alma oder Keepall baumeln zu mehreren in knalligem Rot, Grün, Blau oder Gelb am Handgelenk. Louis Vuitton-Trunks werden auf Golfcaddys über den Laufsteg gefahren. Nach einer Weile schwenkt die Kamera auch aufs Publikum. Zuerst natürlich auf Bernard Arnault, Chef des Konzerns LVMH und damit Herrscher über Louis Vuitton. Ein älterer Herr mit eingefrorener Miene, aber sehr viel Macht. Neben ihm Beyoncé und ihr Mann Jay-Z. Zwei Menschen mit gigantischer Social-Media-Macht. Beyonce hat extra mit ihrer Europa-Tournee pausiert, um der Show beizuwohnen. Spätestens jetzt fragt man sich, ob es nicht ein Kalkül des Monsieur Arnault ist, Musik und Mode zu verbinden, um seine Traditionsmarke auf Kurs zu halten und divers zu vermarkten. Schließlich gehört Williams selbst zur Zielgruppe des Luxushauses und ist damit gleichzeitig ein authentischer Markenbotschafter.
Kleiner Mann ganz groß
Auf jeden Fall hat der kleine Mann aus dem knapp 500.000 Seelen Ort Virgina Beach im US-Staat Virginia gezeigt, dass er mehr kann als singen: Er ist der Pariser Modeszene gewachsen! Pharell Williams lebt seit einiger Zeit mit seiner Frau, Helen Lasichanh, und seinen vier Kindern in der französischen Hauptstadt. Nur so kann er sich auf die Verwirklichung „seines Traums“ konzentrieren. Dieser nahm am Valentinstag Gestalt an, als Alexandre Arnault, Sohn von Bernard Arnault, persönlich anrief, um ihm die Entscheidung von LV-CEO Pietro Beccari mitzuteilen, ihm die mehrjährige Nachfolge des 2021 verstorbenen LV-Designers Virgil Abloh anzubieten. Abloh hatte seit 2018 die Männermode bei Louis Vuitton entworfen. Er war der erste Afroamerikaner, der bei einem französischen Luxusmodehaus die künstlerische Leitung übernahm. Pharell Williams war ein Freund von Virgil Abloh: „Virgil war immer ein Bruder im Geiste. Das ist buchstäblich das, womit wir hier arbeiten“, ließ Pharrell in einer Presseerklärung verlauten. „Er hat dem Haus eine Menge Hits hinterlassen. Was mich betrifft, so arbeite ich mit seinem Geist zusammen. Ich fühle mich geehrt.“ Die Verpflichtung von Abloh und Pharell zeigt ganz nebenbei auch, dass Bernard Arnault es wie kein zweiter in der Edelmarken-Branche versteht, die black community einzufangen.
Trotzdem war die Skepsis groß, als Louis Vuitton seine Entscheidung bekannt gab, einem multitalentierten Multimillionär die kreative Leitung zu übertragen: Viele Stimmen bestanden darauf, dass der Posten an einen „etablierte:n Designer:in“ hätte gehen sollen. Sie übersahen dabei, dass Williams, übrigens auch ein Freund von Karl Lagerfeld, schon lange in Mode macht. Mit Marc Jacobs legte er bereits bei Louis Vuitton Sonnenbrillen auf. Und auch ohne entsprechende Ausbildung verfügt er über ein beachtliches Netzwerk in der Branche: Mit Nigo gründete er 2003 den Billionaire Boys Club. Für Moncler entwarf er Daunenjacken, die aussahen wie kugelsichere Westen und mit Adidas verband ihn eine langjährige Zusammenarbeit. Das Wichtigste ist, dass er sich selbst den Job zutraut: „..ich war auch nicht auf der Juilliard, um Musik zu studieren. Und ich habe es nicht schlecht gemacht. Als Schwarze Menschen auf diesem Planeten sind wir daran gewöhnt, dass man uns sagt, was man tun kann und was nicht…“, erklärte Williams vor der Show gegenüber der VOGUE. Außerdem ist Pharell Williams nicht allein: Louis Vuitton stellte ihm ein eigenes fünfköpfiges DesignerInnen-Team zur Seite. Seine Vision hinter der Kollektion: „Liebe. Und Komfort. Ein anderes Wort für Komfort ist für mich Luxus. Es geht um den Komfort des Designs und das Design des Komforts.“ Auf seine Visionen setzt auch Louis Vuitton in einer Presseerklärung: „Pharell ist ein Visionär, der sich in den letzten zwanzig Jahren zu einer globalen Kulturikone entwickelt hat und dessen kreative Universen sich von der Musik über die Kunst bis hin zur Mode erstrecken. Die Art und Weise, wie er die Grenzen zwischen den verschiedenen Welten, die er erforscht, überschreitet, entspricht dem Anspruch von Louis Vuitton als kulturelle Maison und unterstreicht die Werte von Innovation, Pioniergeist und Unternehmertum.“
Wandlung von einer Mode- zur Kulturmarke
20 Milliarden Euro Umsatz macht LVMH jährlich. Bernard Arnault ist der zweitreichste Mann der Welt. Ein Gigant, dem sich die ganze Stadt Paris unterwirft. Da macht auch Bürgermeisterin Anne Hidalgo verkehrstechnisch gern mal eine Ausnahme und sperrt das ganze Viertel um die älteste Brücke der Stadt herum. Pont Neuf liegt generell strategisch günstig für Arnault: Am Fuß der Brücke befindet sich das Louis-Vuitton Hauptquartier, neben seinem neuen Luxushotel Cheval Blanc und dem Kaufhaus Samaritaine. Die Ernennung des Allround-Künstlers Pharell Williams, der wie kein anderer für Pluralität und Transversalität steht, ist ein weiterer Baustein der überlegten Wandlung Louis Vuittons von einer Luxusmode- und Lederwarenmarke zu einer kulturstiftenden „Kultmarke“. LVMH spendet in Paris viel und regelmäßig, wie beispielsweise den Jardin d’Acclimation im Bois de Boulogne neben seiner – vom kanadisch-US-amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry erbauten – Fondation Louis Vuitton.
Ein Job für einen Messias
„Er (= Williams) ist ein extrem talentierter Mensch. Er ist eine Art Chamäleon, eine Muse mit vielen anderen Qualitäten, die früher von einer künstlerischen Leitung verlangt wurden“, erklärt Pascaline Wilhelm, Fashion Director der Première Vision. Es ist klar, die künstlerische Leitung bei Louis Vuitton ist ein Job für einen Mann, der mehr kann. Sein atypisches Profil und sein prominentes Netzwerk machen Pharell Williams zum perfekten Kandidaten, zu einer Art Messias. Und dabei kommt er trotz brillantenbesetzter Tiffany-Brille so unglaublich sympathisch rüber: „We really need him in our times. He is still so positiv, modest and brillant“, resümiert treffend Inga Giese, Fashionexpertin und Chefredakteurin von Icon.
„Just Phriends – Pharell goes Fashion“
Words: Kathrin Klemp
Illustrations: Studio VE