Modekritik – Cyte#13

Text: Stephan Ziehen

Artwork: Julius Maxim

Man kann ja bekanntlich nicht in Menschen reingucken, aber ich sehe häufig einen krassen Unterschied zwischen dem, wie kreative Köpfe ticken und wie das finale Produkt, das sie designen, hinterher vermarktet wird. Viele bekannte Mode-Designer haben am Central St. Martins College in London studiert, das für seinen besonders kreativen Ansatz bekannt ist.

„… wenn Luxus sich nur über den Preis definiert, hat man irgendetwas auf dem Weg nicht richtig verstanden.“

Die Abschluss-Kollektionen der Studierenden sind häufig ein Feuerwerk an schrägen Ideen, unangepasst und frei. Dieser Spirit bringt dieselben Leute oft schnell in Top-Positionen in der Mode. Flohmarkt, Jugendkultur und Underground sind nicht selten die Inspirationsquelle und mit dem den richtigen Twist finden dann diese Leute ihren Weg ins Luxussegment. Auf einmal hängen Teile, die man ursprünglich in der WG-Küche gebastelt hat, mit einem surrealen Preisschild in einer High End Luxus Boutique. Punkig handbemalte T-Shirts, die €800 und mehr kosten, fühlen sich für mich an wie Verrat. Kim Jones, der unter anderem für Dior Homme entwirft, ist so jemand.
Inspiriert, cool, unangepasst, informiert und freigeistig. Aber wie geht das zusammen mit Klamotten, die Dior dann für schockierend viel Geld verkauft??? Workwear Jeans, die aussehen, als wären sie in Sägemehl gewälzt worden für €1.300 (Helmut Lang lässt grüßen), Trucker Jacken für €5.500. Zynismus pur! Nicht so sehr, dass Workwear seinen Weg ins Luxussegment gefunden hat, sondern der obszöne Preis, der gefordert wird und der offenbar auch gezahlt wird. Irgendwie sind da beide Seiten bescheuert. Und Kim Jones dazwischen – findet der Leute wirklich cool, die sich seine Entwürfe für dieses Geld kaufen? Welche Personen hatte er denn vor Augen, als er diese Klamotten mit in die Kollektionen genommen hat? Ich verstehe den Move, das Alltägliche, das Gewöhnliche aus seinem ursprünglichen Kontext zu nehmen und neu zu kontextualisieren. Aber funktioniert das wirklich für ihn im Zusammenhang mit Dior und dem damit verbundenen Preisschild? Für mich nicht. Es fühlt sich an, als ob er seine Seele verkauft hätte! Alle diese Leute sind doch mal aus anderen Gründen als Geld in die Mode gegangen. Schönheit, Lust, Kreativität und Freiheit unterstelle ich ihnen als ihre Hauptmotivationen.
Auch verstehe ich, dass Dinge einen gewissen Preis haben müssen, um realisiert werden zu können. Aber wenn Luxus sich nur über den Preis definiert, hat man irgendetwas auf dem Weg nicht richtig verstanden. Und dabei rede ich von beiden, dem Konsumenten und auch dem Designer. Es geht um Haltung, um Anders-Sein, um Individualität und nicht darum, etwas vollkommen kontextlos zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Versteht mich nicht falsch, mir gefällt diese Mode, die er für Dior macht. Aber ich habe Schwierigkeiten damit, dass er sie für Dior macht. Genauso wie ich alles geliebt habe, was Virgil Abloh für Louis Vuitton gemacht hat, aber irgendwie fühlt es sich wie eine freiwillige kulturelle Aneignung an. Der Style, der Spirit, der ganze Hintergrund der Klamotten kommt von der Straße, aus der schwarzen Kultur und wird dann via Virgil von Louis Vuitton zu einem Luxusprodukt, was sich keiner mehr leisten kann. Ich frage mich, warum diese Leute das Ganze nicht einfach für günstigere Brands machen. Power to the people. Es muss ja nicht das gleiche teure Material sein. Warum entwirft ein Jonathan Anderson, ein Demna oder Raf Simmons nicht für ein „normales“, erschwingliches und dann bestenfalls auch noch nachhaltiges Label? Die Inspiration der meisten Styles kommt ja eh häufig von „unten“, warum dann nicht die coolen Sachen für alle Leute entwerfen, damit es sich auch alle leisten können???
Ich verstehe nicht, wie sie mit ihrer derzeitigen Klientel happy sein können. Ich kann nicht glauben, dass sie diese Mode in ausschließlich reichen und privilegierten Kreisen sehen wollen. Würden wir die Dinge dann weniger wertschätzen, weil sie dann günstiger wären, weil der vermeintlich große Markenname fehlt?

„Man könnte es aber auch schizophren nennen…“


Ein Versuch den Menschen Kim zu verstehen: Es kann nur funktionieren, wenn man sich komplett abspaltet von dem eigen Tun und dem entsprechend zahlungsfähigen Publikum. Unter den Begriff „Dienstleister“ stellt man seine Kreativität in den Dienst der Reichen dieser Welt. Man könnte es aber auch schizophren nennen, weil anders kann man diesen Spagat nicht hinbekommen. Zu allem Überfluss findet sich leider auch häufig kaum was von den Shows in den Läden wieder. Die ganze Opulenz nur als Marketing-Tool??!! Das Wenige, was vom Laufsteg seinen Weg in die Läden findet, geht unter in dem Wust von langweiligen und kommerziellen Teilen, die trotzdem genauso absurd teuer sind. Warum all dieses Blendwerk?? Das Image von vielen Marken hat nichts mehr mit der Realität der angebotenen Teile zu tun. Häufig also nur Illusion. Die ganze Modernität, Kreativität und Ausgefallenheit finden gar nicht wirklich statt? Absurd und schade eigentlich, weil da doch wirklich viele interessante Teile dabei sind. Aber scheinbar lohnt es sich meistens nicht, genau diese herstellen zu lassen, weil es am Ende zu wenige Käufer dafür gibt. Also diese ganze Show nur um die Parfums, Taschen, Accessoires und die kommerziellen Teile besser verkaufen zu können. Wie frustrierend muss das für viele Designer sein, dass alles nur dazu dient, diese Dinge zu promoten. Zwar nicht komplett sinnlos, aber irgendwie auch nicht richtig zufriedenstellend, wenn die meisten Sachen niemals von irgendjemanden getragen werden.

Letztlich frustriert mich am meisten der normale Konsument, der auch versucht bei diesem Spiel der Begehrlichkeiten dabei zu sein. Den richtig Reichen, denen es egal ist, ob ein Kleidungsstück €1.000, €5.000 oder €20.000 kostet, ist eh nicht mehr zu helfen, die müssen verarscht werden und diesen Preis für ihre Dummheit bezahlen. Aber wenn jemand mit normalem Einkommen sich auch davon anstecken lässt und womöglich dafür spart sich so etwas zu leisten. Bei dem hat die Konsum-Falle zu geschlagen! Was soll das? Kein T-Shirt dieser Welt kann €800 oder mehr wert sein! Warum möchten so viele bei diesem Fetisch dabei sein? Ich verstehe das Marketing dahinter, die Begehrlichkeiten, die entstehen, aber doch nicht um jeden absurden Preis. Zumal auch viele Designerstücke bis auf das meist überdimensionierte Logo, total normal sind, geradezu gewöhnlich. Wie kriegen die das hin, dass wir es trotzdem fast alle wollen? Also das Produkt ist häufig simpel, die Kampagnen sind entweder langweilig oder werden durch Instagram +Co von uns selber verbreitet, die Preise sind absurd – wie kriegen die das hin, dass trotzdem so viele mitmachen? Ich verstehe es nicht! Sind wir alle so derart simpel gestrickt? Irgendwie scheint es allen egal zu sein, dass mittlerweile kaum noch eine DNA bei den verschiedenen Luxushäusern zu erkennen ist. Es wird alles hergestellt, egal ob es stilistisch zur ehemaligen DNA der Marke passt oder nicht, Hauptsache es verkauft sich. Ich weiß schon, der Wandel war schon immer die DNA der Mode an sich, aber jetzt scheint eigentlich nur „teuer“ die DNA der meisten Marken zu sein. Daher braucht man auch nicht langfristig einen Designer, der eine Marke entwickelt und behutsam weiterführt. Daher dreht sich das Designer-Karussell immer schneller, weil der Kunde sich vermeintlich zu schnell langweilt und immer neue Reize, neue Impulse und neue Namen braucht, um bei Laune gehalten zu werden.

„Dinge ergänzen, statt komplett auszutauschen“

Wäre es in diesem Overkill von immer mehr und immer schneller nicht sinnvoller wieder zu reduzieren? Wieder Raum für neue Ideen entstehen zu lassen, statt alles immer zu kopieren oder durch äußeres Blendwerk die Belanglosigkeit der Klamotten zu kaschieren? Warum nicht ein bisschen mehr diesen Gedanken von Lutz Huelle weiterspinnen, der seine Arbeit nicht als Kollektion begreift sondern als „Garderobe“: Was fehlt noch in meinem Kleiderschrank, was brauche ich wirklich noch im Sommer. Also eher Dinge ergänzen, statt komplett auszutauschen. Es war doch nicht alles schlecht, was man vor zwei Saisons gemacht hat. Warum also nicht daran festhalten und nur ein paar Kleinigkeiten verändern und hinzufügen?

So gehen doch die meisten Leute mit ihrer „Garderobe“ um. Dass das alles im Sinne von Nachhaltigkeit, Ressourcen etc. sowieso besser wäre, versteht sich bitte von selbst.