Paulus Goerden
Words: Claudia Ippen
Kunst kann etwas ganz Schönes sein.
Vielleicht ist genau das meine Aufgabe. Menschen an die Hand zu nehmen und ihnen etwas zu zeigen, ohne Vorurteile dabei zu haben und wieder mehr auf ihr inneres Kind zu hören.
Kennt ihr schon Paulus, seine Kunst oder seinen Instagramkanal? Dieser bekommt zurzeit viel Aufmerksamkeit. In kurzen Videos beschreibt er dort sogenannte Alltagsinstallationen, die er zufällig auf Spaziergängen entdeckt. Seine Videos verbinden Kunst und Social Media, seine Arbeiten sind eine spannende Mischung aus Foto, Installation, Video und Ready-Made-Kunst. Die Idee, Kunst im Alltag zu entdecken, ist nicht neu, Paulus‘ Herangehensweise daran aber schon. Ich verabrede mich an einem Januarabend mit ihm zu einem Gespräch. Ich möchte mehr über ihn erfahren, warum macht er Kunst und was reizt ihn daran? Schnell merke ich, dass es bei Paulus und seiner Arbeit um Ehrlichkeit geht. Er sucht stets nach dem Echten und lädt dazu ein, unvoreingenommen durch die Welt zu gehen, um das Schöne und, in seinen Augen, Ehrliche im Alltäglichen zu entdecken. Mithilfe seiner Arbeiten macht er junge Menschen mit Kunst vertraut. Er ermutigt dazu, die Sinne zu schärfen, kreativ zu sein und den wahren Kern von Kunst wiederzuentdecken. Mit seiner aufrichtigen und frischen Art bringt Paulus neue Impulse in die Kunstwelt. Ich bin sehr gespannt, was wir von Paulus in den kommenden Jahren sehen und hören werden!
Cyte: Du hast einen spannenden Weg in die Welt der Kunst gefunden, von kurzen Zwischenstopps in Bauingenieurwesen sowie Design und Architektur bis hin zu deinem aktuellen Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie in Düsseldorf. Lass uns doch hier starten. Wie hat diese Reise deinen Blick auf Kunst und den kreativen Prozess geprägt?
Paulus: Ich wollte schon immer etwas gestalten. Ich hätte aber nicht gedacht, dass ich später etwas im Bereich Kunst machen würde. Ich fand Kunst in der Schule nicht gut. Vielleicht war das aber auch den Lehrenden geschuldet, Schülern Kunst nicht schmackhaft machen zu können. Ich habe die Relevanz von Kunst nicht verstanden. Ich habe nicht verstanden, wo Kunst für mich ansetzen kann. Zuerst wollte ich etwas gestalten. Ich hatte den Wunsch, einen Garten zu planen, ein Haus zu bauen und Zimmer anzuordnen. Das war damals meine Vorstellung von Architektur. Dann habe ich angefangen Bauingenieurwesen an der TU zu studieren und habe sofort gemerkt, nein auf gar keinen Fall, das ist es nicht. Ich habe versucht herauszufinden, was mich wirklich interessiert. In Österreich bin ich auf einen Studiengang gestoßen, der Raum- und Design-Strategien miteinander verknüpft. In meiner Vorstellung war das der Vorstoß von Design und Architektur in eine eher bühnenbildartige Richtung. Ich wollte über Räume sprechen und was das Interessante daran ist. Sehr schnell habe ich gemerkt, dass man im Designfindungsprozess oft noch andere Meinungen einholen und viel absprechen muss, dass die erste Idee nicht immer die richtige ist, obwohl man selbst davon überzeugt ist. Weil sie ehrlich ist und andere berühren kann. Das stand mir im Weg. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich genau jetzt etwas umsetzen möchte mit den Materialien, die mir jetzt zur Verfügung stehen. Während des Studiums habe ich mich also für den Fachbereich Kunst an der Kunstakademie beworben und bin seitdem glücklich hier in Düsseldorf.
Cyte: Du kommst aus einer Theaterfamilie. Hat das Theater und deine Kindheitserfahrungen mit Inszenierungen, Kulissen und Kostümen Einfluss auf deine Kunst?
Paulus: Es hat mich fasziniert, da hinzudürfen, wo das normale Publikum nicht hindarf. Ein Bühnenbild von hinten zu betrachten, fand ich immer spannender als es von vorne zu sehen. Von hinten sieht man, wie es gemacht ist. Man sieht eine Ehrlichkeit und oft auch etwas Provisorisches, zum Beispiel dass Tape benutzt wird, um etwas zusammenzuhalten. Improvisiertes Handwerk. Das war für mich schon immer faszinierend, weil das eigentlich so geniale Lösungen sind. Improvisieren zu können ist daher für mich auch eine der größten Stärken. Wer sein Handwerk kann, der kann auch improvisieren. Bildlich und räumlich faszinieren mich Requisiten. Sie stehen da rum, wie Stühle zum Beispiel, und warten auf ihren Einsatz während der Vorstellung, werden aber die meiste Zeit nicht benutzt. Sie haben so eine Art Fake-Aspekt an sich. Das fand ich schon immer spannend. Auch Kunstschnee zum Beispiel. Oft haben diese Gegenstände eine riesige Symbolik inne, weil sie eben keine Benutzung im eigentlichen Sinne haben. Man nähert sich den Gegenständen über ihre Bedeutung, ihren Symbolcharakter. Wofür steht ein Stuhl? Wofür steht ein Schloss? Wofür eine Kette?
Cyte: Das erinnert mich an deine Alltagsinstallationen, die du in Videos auf Instagram teilst und wofür du gerade viel Aufmerksamkeit bekommst. Kannst du darüber mehr erzählen?
Paulus: Auch hier greife ich diesen Symbolcharakter auf. In Reels, kurzformatigen Videos von meistens 10 bis 40 Sekunden, zeige ich Sachen, Bühnenbilder, die mir begegnen. Ich spreche von Bühnenbildern, weil wir uns darin bewegen, in diesem Setting, ohne unser Umfeld so richtig wahrzunehmen, ohne wirklich darauf zu achten. Oft interessiert es Leute nicht, was da entstehen kann, in der zufälligen Komposition von Alltagsgegenständen. Für mich aber entsteht Kunst zwischen Bild und Betrachter. Man kann niemandem vorschreiben, von Kunst angesprochen und berührt zu sein. Das entsteht ganz individuell, je nach Bedürfnis, je nach Mensch. Im Museum ist das so, im Theater, im Kino. Es gibt Szenen, die einem zusagen, warum kann man oft nicht erklären. Durch meine Videos möchte ich dazu anregen, das Bewusstsein zu schärfen, um im Alltag etwas ganz Individuelles zu sehen. Etwas, worauf man sonst vielleicht nicht geachtet hätte. Dabei gebe ich eine Hilfestellung.
Cyte: Geht es dir dann bei den Alltagsinstallationen weniger um dieses Stillleben, um die Installation, an sich? Und vielmehr darum, andere dafür zu sensibilisieren, mit offenen Augen und Sinnen durch die Welt zu gehen?
Paulus: Ich denke, es ist etwas dazwischen. Es gibt Szenen, die sind so präzise, so eigen- und einzigartig, die muss ich einfach festhalten. Aber meistens geht es weniger darum, was ich da genau sehe. Es geht darum, die Szene sichtbar zu machen und dies in den Videos zu vermitteln. Das ist das Wertvolle daran.
Cyte: Deine Videos auf Instagram verbinden analoge Kunst auf der Straße mit dem Digitalen auf Social Media. Wie siehst du die Rolle von Social Media für deine Kunst?
Paulus: Wir sind ständig am Handy. In der Bahn, im Bus, beim Warten im Supermarkt an der Kasse. Es gibt eine riesige watch time. Und das kann man natürlich, wenn man die Plattform bespielt, ganz einfach für sich nutzen, indem man Content uploadet. Wenn Leute meinen Content konsumieren, dann kann das was anstoßen. Es kann sie bereichern, sie können sich darüber freuen, es kann sie aber auch aufregen oder abstoßen. Meine Videos können Interesse an Kunst wecken und sensibilisieren. Sie machen andere aber vielleicht auch wütend. Da gibt es ganz viele unterschiedliche Reaktionen. Ich habe für mich festgestellt, dass meine Kunst auf einem Blatt Papier entstehen kann, oder wenn ich Objekte miteinander verbinde. Sie kann aber auch entstehen, wenn ich ein Video aufnehme und auf Instagram hochlade. Für mich fügt sich das irgendwie schön zusammen. Das widerspricht sich nicht. Ob mit Papier, Steinen, im Insta-Reel oder auf TikTok, irgendwie habe ich das Gefühl, das passt zusammen.
Cyte: Wird Kunst durch dich jünger und partizipativer? Vielleicht sogar barrierefreier?
Paulus: Ich merke, insbesondere durch die Kommentare auf meine Videos, dass viele Leute Kunst einfach nicht mehr verstehen und sich nicht trauen, etwas empfinden zu dürfen. Häufig bekomme ich als Reaktion auf ein Video ironische Nachrichten, die auf den angeblich hohen Verkaufspreis anspielen. Eine Banane mit Tape an der Wand kostet so und so viele Millionen. So was in der Art. Das zeigt mir, dass viele nicht verstehen, worum es eigentlich geht. Dass Kunst etwas ganz Schönes sein kann. Vielleicht ist genau das meine Aufgabe. Menschen an die Hand zu nehmen und ihnen etwas zu zeigen, ohne Vorurteile dabei zu haben und wieder mehr auf ihr inneres Kind zu hören. Und Kunst auch wieder auf den Ursprung zurückzubringen, auf den eigentlichen Kern, nämlich etwas Kreatives zu schaffen, etwas auszudrücken, zu verarbeiten. Einfach etwas zu schaffen, in welcher Form auch immer. Weg von dem ganzen Business. Vor allem auch erst einmal in der Wahrnehmung von Kunst, noch nicht mal im Gestalterischen. Was sehe ich da? Was sagt mir das und woran denke ich dabei? Das ist für mich ein wichtiger Bestandteil von Kunst.
Cyte: Du erhältst ganz viele unterschiedliche Reaktionen auf deine Videos. Wie gehst du mit diesen sehr unmittelbaren Reaktionen um?
Paulus: Das habe ich mir ja selbst ausgesucht. Es gibt natürlich irgendwo eine Grenze, die sollte man nicht überschreiten. Das Video-Format vermittelt ein Gefühl von Unmittelbarkeit. Es ist ganz einfach und flüchtig. Das fördert natürlich, dass Leute sich damit auseinandersetzen, Kommentare dalassen. Weil es einfach so direkt ist. Es ist kein aufwendig produziertes Video. Ich gebe den Leuten mit, was ich sehe und präsentiere mich natürlich auch selbst in diesen Videos. Ich lade nicht einfach nur eine Fotografie hoch. Manche stören sich daran, weil es vielleicht an einem tradierten Kunstbegriff rüttelt. Ich kann damit aber sehr gut umgehen. Denn ich bin das und verstelle mich nicht.
Cyte: Kommen wir von deinen Alltagsinstallationen zu deiner anderen Kunst. Im Sommer 2023 hattest du deine erste Soloschau in der Kölner Galerie Alex Serra. Was genau hast du da ausgestellt?
Paulus: Bei einem Rundgang der Kunstakademie hat Paulo Nunes, Besitzer der Galerie Alex Serra, meine Arbeiten gesehen. Es war recht schnell klar, dass er mit mir zusammenarbeiten möchte. Bei einer Einzelausstellung liegt der Fokus auf einem Künstler, einer Künstlerin. Da überlegt man sich dann ganz genau, wie man den Raum bespielen möchte. Ich habe Fotografien in Holzrahmen gezeigt. Die Holzrahmen waren für mich so eine Art Raumerweiterung der Fotografie. Es hatte fast etwas von einem Bühnenbild. Und auch das war am Anfang eine provisorische Lösung. Weil es mir zu teuer war, Fotorahmen zu kaufen, habe ich sie selbst gemacht. So sind dann diese Traumwelten, Erinnerungsräume habe ich sie genannt, entstanden. Es gab kleine Holzkästen, insgesamt 20 Stück, in denen sich immer nur jeweils ein Ding verändert hat. Im Alltag nehme ich oft wahr, dass eine ganz kleine Bewegung manchmal ausreicht, um etwas Großes auszulösen. Darauf habe ich Bezug genommen und in objekthafter Form in der Ausstellung gezeigt. Dann gab es noch sehr große Papierarbeiten, Pappe, ungerahmt, ganz pur mit Farbe und Schrift. Ich benutze oft Schrift in meinen Arbeiten. Es ist meine Schrift und ich gucke nicht, ob jemand anderes das verstehen oder lesen kann, das ist dann meine Sprache. So wie draußen bei den Alltagsinstallationen keiner darauf achtet, ob etwas richtig hingestellt ist. Es ist einfach ein ehrlicher Umgang mit den Gegenständen. Was gab es noch? Ein paar Alltagsinstallationen gab es natürlich auch. Eine Plane unter einem Heizkörper. Ich fand es ehrlich, sie da zu lassen. Und so hat sich das dann alles irgendwie gefügt.
Cyte: Zum Ende unseres Gesprächs, bekommst du jetzt von mir noch drei schnelle Fragen. Und ich bin gespannt, was dir dazu – schnell, ehrlich, improvisiert und unverstellt – durch den Kopf geht.
Was ist für dich Ästhetik?
Schön, ehrlich, visuell.
Bist du gerade happy da, wo du bist?
Ja. Weil ich glücklich bin und erfüllt. Und genau das machen kann, was mich erfüllt.
Was können wir 2024 von dir erwarten?
Es gibt ein ganz tolles Projekt mit dem Düsseldorfer
Schauspielhaus, dem Jungen Schauspiel. Da arbeiten wir zusammen an einem Projekt, das parallel zur Aufführung des Theaterstücks stattfindet. Es gibt Medien, die dieses Projekt interessant finden und darüber berichten, was mich und meine Arbeit einem breiteren Publikum zugänglich macht. Ich merke, dass mein Auge immer geschulter und meine künstlerische Vision zunehmend präziser wird. Ich freue mich darauf, dass sich meine Arbeit weiterentwickelt und gleichzeitig immer gezielter wird.
Vielen Dank, lieber Paulus, für das Gespräch! Wir wünschen dir viel Erfolg für deine kommenden Projekte.